Parteitag Die Linken auf der Suche nach der Mitte

Bonn · Wie hältst du’s mit Europa? Die Linke ringt um eine Antwort – und fordert bei ihrem Parteitag einen „Neustart“ der EU. Doch Einigkeit klingt anders.

Gutes über die EU zu sagen, fällt den Linken bekanntlich schwer. Eine „Vereinigung der herrschenden Klassen“, neoliberales Diktat, Aufrüstung. „Die Europäische Union ist nicht so, wie wir sie wollen“, steht klar im Programm für die Europawahl am 26. Mai. „Wir wollen eine andere, eine bessere EU.“ Wie die aussehen soll, darum ringt die Partei – und wie sich an diesem Wochenende beim Parteitag in Bonn gezeigt hat: ruhiger als früher. Auch wenn am Ende der linke Parteiflügel gefrustet war. „Das war ein politisch entkernter Parteitag“, sagt der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu. „Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Kante zeigen.“ Was ist passiert? Die Linke hat einen Mittelweg zwischen zwei Extremen gewählt. Nicht wenige in der Partei halten das europäische Projekt für gescheitert. Die EU sei nicht reformierbar, Neustart unmöglich. Das andere Lager, eher Reformer, träumt von Vereinigten Staaten von Europa, einem gemeinsamen Parlament, das echte Politik machen kann: europäische Steuern, europäische Außenpolitik, europäische Arbeits- und Sozialpolitik.

Also was denn nun? „Wir müssen uns schon entscheiden, ob wir Europa verändern oder zerstören wollen“, fordert ein Delegierter in der Debatte. Am Ende wird es Kritik, ja, aber mit einer positiven Grundhaltung zur europäischen Idee. „Ich meine, auf eine andere EU hinzuarbeiten, ist die größere Liebeserklärung an Europa als zuzulassen, dass alles so bleibt, wie es ist“, sagt Parteichefin Katja Kipping.

Dass man sich mit der Kritik an Europa öffentlich zurückhält, dürfte auch daran liegen, dass sich die politische Konstellation seit der Europawahl 2014 ziemlich verändert hat. Wer zu offen gegen die EU spricht, steht jetzt schnell in einer Ecke mit der AfD. Dabei will die Linke doch deren „entschiedenste Gegnerin“ sein.

Wie wichtig sind Europawahlen für die Linke überhaupt? „Noch nie so wichtig wie in diesem Jahr“, meint Gregor Gysi, Chef der Parteienfamilie Europäische Linke. 2014 fuhr die Linke gerade einmal 7,4 Prozent ein. Diesmal legt Parteichef Bernd Riexinger die Latte höher: mindestens zehn.

Bei der Bundestagswahl schaffte die Linke 9,2 Prozent, doch bei Europawahlen hatte sie bisher immer Mobilisierungsprobleme. Da dürfte kaum helfen, dass die Spitzenkandidaten Martin Schirdewan und Özlem Alev Demirel zwei recht unbekannte Gesichter sind. Auf den Plakaten will man ihnen den bekannten Kopf Gysi zur Seite stellen.

Doch vielleicht gibt es für die Linke im Moment einfach Wichtigeres. Zum Beispiel den Linksschwenk der SPD mit der Abkehr von Hartz IV. Ist das gefährlich, weil die SPD der Linken programmatisch auf die Pelle rückt? Bartsch sieht es als Chance: „Wir bekommen Butter aufs Brot, das sind unsere Themen.“

Viele in der Linken werden am Tag der Europawahl wohl auch weniger nach Brüssel als nach Bremen schauen: Erstmals könnte die Linke dort bei der zeitgleichen Bürgerschaftswahl ein zweistelliges Ergebnis einfahren, vielleicht um 13 Prozent. Die Chancen für Rot-Rot-Grün stehen gar nicht schlecht. Es wäre die erste Regierungsbeteiligung der Linken in einem westdeutschen Bundesland.

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