Le Pen gegen Le Pen

Paris · Die heile Welt des französischen Front National zeigt Risse. Zwischen dem extremistischen Parteigründer Jean-Marie Le Pen und seiner Tochter Marine kracht es wegen einer antisemitischen Entgleisung. Dafür scheint eine rechte Fraktion im EU-Parlament nun sicher.

Eigentlich lief es für Marine Le Pen nicht schlecht. Nachdem die 45-jährige Französin ihren umstrittenen Front National bei den Europawahlen zur Nummer eins ihrer Heimat gemacht hatte, wollte sie am morgigen Freitag in Brüssel einen großen Auftritt hinlegen. Denn sie hat es geschafft: eine eigene Fraktion der Rechten im neuen Europäischen Parlament, 43 Mitglieder stark, die aus sieben EU-Staaten stammen - genau wie es die Geschäftsordnung des Parlaments fordert. Doch ein Triumphgefühl mag nicht mehr aufkommen. Schuld daran ist der Herr Papa, Parteigründer Jean-Marie Le Pen.

Der rüstige Herr hatte mit seinen 85 Jahren am Sonntagabend auf der Seite der französischen Rechten ein Interview veröffentlichen lassen, in dem er entgleiste, wie man es schon mehrfach bei ihm erlebt hat. Zunächst zog er über den Ex-Tennisstar und Sänger Yannik Noah her, der den Front National massiv kritisiert hatte: "Herr Noah hat sich verpflichtet, nicht mehr in Frankreich zu singen, wenn der Front National Wahlsieger wird. Ein Schwein, wer seine Ankündigung widerruft." Als der Fragesteller nachhakt, ob das auch für den jüdischen Chansonnier Patrick Bruel gelte, antwortete Jean-Marie Le Pen: "Ja, das erstaunt mich nicht." Und fügte hinzu: "Wissen Sie, da machen wir das nächste Mal eine Ofenladung." Es fällt schwer, diese Aussage nicht als Anspielung auf die Vernichtungslager der Nazis zu verstehen. Nur wenige Stunden später schlugen die Wogen der Empörung über dem Gründer des Front National zusammen. Französische Anti-Rassismus-Organisationen waren die ersten, die Le Pens Äußerung als "ekelhaft" und "kein Ausrutscher" brandmarkten. Der Mann sei eben ein "echter Antisemit".

Le Pen selbst wies die Vorwürfe zurück. "Das Wort ,Ofenladung', das ich benutzt habe, hat natürlich keine antisemitische Bedeutung, außer für politische Feinde und Dummköpfe", schimpfte er weiter. Was er denn tatsächlich gemeint habe, ließ er allerdings offen. Der "Rückfall" ihres Vaters, der die Gaskammern der Konzentrationslager einmal als "Detail der Geschichte" verunglimpfte, bringt seine Tochter in erhebliche Schwierigkeiten. Lange hatte sich Marine Le Pen nach der Übernahme der Parteiführung 2011 bemüht, den Front aus der braunen Ecke herauszuführen und zu "entdämonisieren", wie sie es nannte. Vor den Europawahlen gelang es ihr, auch in der Mittelschicht Frankreichs Fuß zu fassen, in dem sie auf offene Ausländerfeindlichkeit verzichtete, dafür aber die nationalistische Karte gegen die EU spielte. Nach dem Interview kritisierte sie auf Nachfrage den Auftritt ihres Vaters ernst als "politischen Fehler". Das einzig Positive an dem Vorfall sei der Anlass, der es ihr ermögliche, noch einmal daran zu erinnern, dass "der Front National auf das Schärfste jede Form des Antisemitismus verurteilt". Ihr Lebensgefährte und Partei-Vize, Louis Aliot, nannte die Aussagen des Quasi-Schwiegervaters kurz "dumm".

Gestern beklagte sich dann der Herr Papa, er habe von seiner Tochter nichts mehr gehört. "Emotional bin ich sehr verletzt", schilderte er auf einer italienischen Nachrichtenwebseite seine Gefühlslage. Einsicht zeigte er allerdings auch nicht, sondern polterte gegen den eigenen Nachwuchs: "Höflichkeit dominiert in dieser Sache nicht", sagte Jean-Marie Le Pen. "Ich halte sehr gut Angriffe von vorne aus, aber keine feigen Angriffe in den Rücken."

Ob die FN-Spitze dem alten Herrn künftig weiter erlauben wird, einmal pro Woche in dem Video-Blog aktuelle politische Fragen zu beantworten, stand bis Mitte der Woche noch nicht fest. Die Funkstille zu ihrem Vater dürfte Marine Le Pens Ambitionen in Straßburg und Brüssel beschädigen. Denn sie muss sich plötzlich wieder gegen ein Image wehren, das ihre Arbeit in einer neuen rechten Fraktion behindert. Schließlich sieht sich die Französin vor allem aufgrund ihres Wahlerfolges als die unumstrittene Führerin dieses Parteienbündnisses, der sich sowohl der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders wie auch die italienische Lega Nord, der belgische Vlaams Belang und auch die starken Freiheitlichen aus Österreich unterzuordnen haben. Gerade das Bündnis mit Wilders litt nämlich von Anfang an darunter, dass Le Pen sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus zur Wehr setzen musste, während sie selbst die ausländerfeindlichen Hasstiraden des Niederländers kritisierte.

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Auf einen BlickDer rechtsextreme Front National (FN) holte bei landesweiten Wahlen zuletzt meist zweistellige Ergebnisse. Wegen des für kleine Parteien nachteiligen Mehrheitswahlrechts ist sie im französischen Parlament nur mit zwei Abgeordneten vertreten. Chefin der 1972 gegründeten Partei ist seit 2011 Marine Le Pen. Bei der Präsidentenwahl 2012 erzielte die Tochter von Parteigründer Jean-Marie Le Pen in der ersten Runde mit fast 18 Prozent das beste Ergebnis der Parteigeschichte.In Lothringen und dem Elsass erzielt der FN regelmäßig Rekord-Ergebnisse. Bei der Kommunalwahl im März konnte der Front National das Rathaus in Hayange erobern. In Forbach kam der FN-Kandidat Florian Philippot in die Stichwahl. Bei der Europawahl errang der FN vier Mandate im Wahlbezirk Ostfrankreich. red

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