Kulturkampf um den Glauben im Klassenzimmer

Berlin. "In Berlin geht's um die Freiheit." Was TV-Star Günther Jauch von vielen Werbeplakaten verkündet, klingt fast wie vor 20 Jahren, als die Mauer noch stand. Ein bizarrer Wahlkampf findet derzeit an der Spree statt. Er endet am Sonntag mit einem Volksentscheid. Es geht um die Frage, ob an den Schulen Religionskunde oder das Fach Ethik gelehrt werden soll

 Auf Berlins Straßen tobt ein bizarrer Wahlkampf: Tita von Hardenberg und Günther Jauch sind prominente Unterstützer der Initiative "Pro Reli". Foto: dpa

Auf Berlins Straßen tobt ein bizarrer Wahlkampf: Tita von Hardenberg und Günther Jauch sind prominente Unterstützer der Initiative "Pro Reli". Foto: dpa

Berlin. "In Berlin geht's um die Freiheit." Was TV-Star Günther Jauch von vielen Werbeplakaten verkündet, klingt fast wie vor 20 Jahren, als die Mauer noch stand. Ein bizarrer Wahlkampf findet derzeit an der Spree statt. Er endet am Sonntag mit einem Volksentscheid. Es geht um die Frage, ob an den Schulen Religionskunde oder das Fach Ethik gelehrt werden soll. Die ideologisch hart geführte Auseinandersetzung offenbart, wie tief die Stadt zerrissen ist.

Seltsame Begriffe prägen den Streit. Da ist bei der Initiative "Pro Reli" von "Zwangsethik" die Rede und auf der Gegenseite von "Wahlzwang". Plakate werden übermalt, etwa das von Moderatorin Tita von Hardenberg, deren "Pro-Reli"-Aussage kurzerhand ergänzt wird mit "Ich als Zahnarztgattin . . .". Deutschlands oberster katholischer Bischof, Robert Zollitsch, wirft dem rot-roten Senat Einflussnahme auf den Religionsunterricht "wie zu Zeiten des Kommunismus" vor. Es ist ein Kulturkampf, in dem für den Religionsunterricht neben Jauch auch die Ex-Ministerin Andrea Fischer (Grüne), Hertha-Verteidiger Arne Friedrich und Buchautor Eckart von Hirschhausen in Stellung gegangen sind. Zusammen mit CDU und FDP. Auf der Gegenseite, "Pro Ethik" genannt, stehen die Berliner SPD, die Linkspartei und die Grünen. Als Promis bietet man Wolf Biermann, Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan auf. Pardon wird gegenseitig nicht gegeben. Weil Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse als überzeugter Katholik "Pro Reli" ist, muss der bisherige Spitzenkandidat der Berliner SPD bei der kommenden Bundestagswahl sogar um einen sicheren Listenplatz bangen.

2006 führte Berlin das Fach "Ethik" für die 7. bis 10. Klassen ein. Mit guten Argumenten. In der Hauptstadt galt wie in Bremen wegen einer Ausnahmeregelung seit jeher der Grundgesetzartikel nicht, wonach Religion an den Schulen ordentliches Lehrfach ist. Bis man auf die Idee des Ethik-Unterrichts kam, war der Besuch des Religionsunterrichts freiwillig. Die Folge: In der Stadt, in der nur 30 Prozent einer christlichen Kirche angehören, besuchten ihn nur wenige Kinder. Vor allem nicht die vielen Nachkommen der Migranten. Man brauche eine gemeinsame Werteerziehung, lautete 2006 das Argument für den verpflichtenden Ethik-Unterricht. Unmittelbarer Anlass war der "Ehrenmord" an einer jungen Deutsch-Türkin. Religionsunterricht kann seither ergänzend freiwillig genommen werden, doch besuchen ihn nun noch weniger Kinder. Schon um sich Stunden zu sparen. Die Initiative "Pro Reli" will nun erreichen, dass Religion neben Ethik gleichrangiges Wahlpflichtfach wird.

Die Initiative wird vor allem von den bürgerlichen Schichten im Westen der Stadt getragen. Sie fühlen sich vom rot-roten Berliner Senat ohnehin ausgegrenzt. Vor einem Jahr versuchte dieser Teil Berlins schon einmal einen Vorstoß, damals mit einem Volksentscheid für den Erhalt des traditionsreichen Flughafens Tempelhof. Man gewann zwar die Abstimmung, doch das notwendige Quorum, mindestens 610 000 Ja-Stimmen, wurde knapp verpasst. Der Ostteil hatte sich schlichtweg nicht für das Thema interessiert. Jetzt haben sich zu den bürgerlichen West-Berlinern noch die Zugezogenen gesellt. Der Senat scheint sie erneut ignorieren zu wollen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) unterstellte der Initiative, hinter ihr stünden "große Geldgeber". Und Jauch warf er vor, der habe "noch nicht begriffen, was Freiheit ist".

Der Religionskonflikt ist nicht die einzige Auseinandersetzung in der Stadt. Die östlichen Neubauviertel in Marzahn und Hellersdorf sind laut einer neuen Sozialstatistik dramatisch in die Armut abgerutscht. Der Norden Neuköllns und Wedding sind fast unregierbare Migranten-Gettos geworden, in denen jeder Zweite arbeitslos ist. Und in Kreuzberg und Friedrichshain marodiert die autonome Szene gegen Investoren und Neureiche. Praktisch jede Nacht werden dort Autos der gehobenen Klasse abgefackelt. Vergleichsweise zivil ist die Auseinandersetzung im Vorzeige-Viertel Prenzlauer Berg. Dort rangelt die Alternativszene mit den vielen jungen Müttern um Bürgersteige und Parks.

In dieser Situation gehen vom rot-roten Senat kaum Zeichen des Dialogs aus. Die linke Stadtregierung weigerte sich, den Abstimmungstermin für den Volksentscheid über "Pro Reli" auf den Tag der Europawahl, den 7. Juni, zu legen, offenbar aus Sorge vor einer zu hohen Beteiligung, und bestimmte den 26. April. "Trickserei" nennen das die Organisatoren. Gut möglich, dass die Kalkulation aufgeht und auch diese Initiative an mangelndem Interesse scheitert, so wie der Volksentscheid um Tempelhof. Aber der war für den Senat nur ein Pyrrhus-Sieg. Der brach liegende Flughafen musste für viel Geld eingezäunt werden, um ihn vor Vandalismus aus den benachbarten Vierteln zu schützen. Für den 1. Mai haben Autonome bereits angekündigt, ihn stürmen zu wollen. "Günther Jauch hat noch nicht begriffen, was Freiheit ist."

Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister von Berlin

Hintergrund

 Auf Berlins Straßen tobt ein bizarrer Wahlkampf: Tita von Hardenberg und Günther Jauch sind prominente Unterstützer der Initiative "Pro Reli". Foto: dpa

Auf Berlins Straßen tobt ein bizarrer Wahlkampf: Tita von Hardenberg und Günther Jauch sind prominente Unterstützer der Initiative "Pro Reli". Foto: dpa

Im Saarland ist Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ein ordentliches Lehrfach. Von Klasse eins bis zum Abitur werden laut Kultusministerium zwei Stunden pro Woche evangelischer und katholischer Unterricht angeboten. Auch für religiöse Minderheiten ist ein staatlich organisierter Unterricht möglich, zum Beispiel gibt es jüdischen Religionsuntericht. Eltern können ihre Kinder vom Religionsunterricht abmelden. Ab Klasse neun dürfen Schüler zwischen Ethik und Religion als Unterrichtsfach wählen. de

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