Jahresrücklick zur Weltpolitik Machos, Macht und Morde

Ein gefährlicher Cocktail aus politischer Unberechenbarkeit, Machtbesessenheit, Skrupellosigkeit und viel (zu viel) Testosteron bedroht die Welt.

 Vier Männer mit ausgeprägtem Willen zur Macht: Recep Tayyip Erdogan, Mohammed bin Salman, Donald Trump und Wladimir Putin (von oben links im Uhrzeigersinn).

Vier Männer mit ausgeprägtem Willen zur Macht: Recep Tayyip Erdogan, Mohammed bin Salman, Donald Trump und Wladimir Putin (von oben links im Uhrzeigersinn).

Foto: SZ/dpa, picture alliance, Illustration. Robby Lorenz

Auf den ersten Blick wirkt es wie eine Hochzeitsgesellschaft: Vorn in der Mitte auf dem roten Teppich der Gastgeber, Argentiniens Staatspräsident Mauricio Macri, mit seiner hinreißend schönen Gattin Juliana Awada im weißen Spitzenkleid, die Donald Trumps eleganter Ehefrau Melania in ihrer violetten Seidenrobe glatt die Show stiehlt. Anfang Dezember posieren die 20 Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie und Schwellenländer (G20) auf ihrem Gipfel mit Partnern fürs sogenannte Familienfoto. Überwiegend freundlich, wie es sich gehört. Angela Merkel in schwarzer Hose und weißem Blazer ist eine derer, die ernst dreinschauen, fast steif wirken – anders als gewohnt. Nur die Raute ist vertraut. Vielleicht liegt es am Verspätungs-Stress durch die vorausgegangene Flugzeugpanne. Vielleicht liegt es an Wladimir Putin, der neben ihr steht und zu dem sie sichtbar Abstand hält. Möglicherweise aber mag sie keine gute Miene mehr zum bösen Spiel machen. Reden ja, aber mit Distanz zu jenen, die das Weltgeschehen mit Machtgier und Skrupellosigkeit zu manipulieren suchen. Die Demokraten-Gesellschaft der Trudeaus, Macrons, Mays, Merkels wird an den Rand gedrängt von größenwahnsinnigen, machohaften Narzissten wie Donald Trump und machtbesessenen, skrupellosen Autokraten wie Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan, Mohammed bin Salman und vielen anderen mehr.

Mit dem Tod von US-Präsident George Bush Senior Anfang Dezember ging eine Ära zu Ende: Zu ihr gehörten Anstand, Demut, parteiübergreifende Verständigung und ein transatlantisches Verhältnis, schrieb kürzlich der „Tagesspiegel“. Trübt da der Zeitabstand den Blick? Vielleicht, aber verglichen mit Trump, der seine Regierungsentscheidungen via Twitter-Kurzbotschaften abwickelt und damit im günstigsten Fall globale Verwirrung stiftet, war Bush Senior, der eine tragende Rolle beim Ende des Kalten Krieges und bei der deutschen Wiedervereinigung spielte, eine Ikone der Verlässlichkeit. Trumps Gespräche über atomare Abrüstung mit Nordkoreas unberechenbarem Machthaber Kim Jong Un im Juni dieses Jahres wirken auf viele wie ein Schmierentheater zweier Egomanen. Kann zwischen ihnen eine tragende Verständigung zustande kommen? Bald soll ein erneutes Treffen stattfinden.

Tatsächlich erleben wir globale Politik 2018 zumeist wie einen schlechten Film. Am 4. März werden in der idyllischen südenglischen Kleinstadt Salisbury der in Russland verurteilte Ex-Doppelagent Sergej Skripal mit seiner Tochter Julija bewusstlos auf einer Parkbank aufgefunden. Ein Anschlag mit dem tödlichen Nervengift Nowitschok, wie sich herausstellt, den beide nur knapp überleben. Die britischen Ermittler machen zwei Russen als Verdächtige aus. Arglose Touristen, wie der russische Propagandasender RT später vorgibt. Tatsächlich werden sie kurz darauf als zwei hochdekorierte Offiziere des russischen Militärgeheimdienstes enttarnt. Handelte es sich um einen staatlichen Auftragsmord? Putin, der Beobachtern zufolge den Zerfall des westlichen Bündnisses und Europas durch gezielte Wahlmanipulationen vorantreibt, weist Schuldvorwürfe abgebrüht von sich – und beschimpft Skripal später öffentlich als Heimatverräter: „Er war nur ein Dreckskerl, sonst nichts.“ Vier Monate später kommt eine Frau in Salisbury ums Leben. Ihr Freund soll einen Flakon mit dem Gift gefunden haben, das er für Parfum hielt und seiner Partnerin schenkte. Einen „Kollateralschaden“ nennt man so etwas wohl.

Dass Putin den saudischen Kronprinzen und mutmaßlichen Khashoggi-Schergen Mohammed bin Salman beim G20-Gipfel wie einen engen Kumpel begrüßte, könnte allenfalls vor dem Hintergrund der unheilvollen Allianz mit Saudi-Arabiens ärgstem Feind Iran an der Seite des skrupellosen syrischen Machthabers Bashar al-Assad verwundern. Brüder im Geiste scheinen Putin und bin Salman durchaus. Ein Video zeigt sie beim Gipfel händeklatschend miteinander scherzen. Wie seinem „Kumpel“ Putin hängt auch MbS, wie der Kronprinz genannt wird, der Verdacht eines Auftragsmords an. Jener Mord, der sich im saudischen Konsulat in Istanbul abgespielt hat, könnte makaberer nicht sein. CIA-Berichten zufolge soll der saudische Journalist Jamal Khashoggi – einst Berater, dann Kritiker bin Salmans – von einem eigens angereisten saudischen Kommando erwürgt worden sein. Danach sei seine Leiche erst zerteilt, dann in Säure aufgelöst worden. Das Königshaus in Riad bestätigt auf internationalen Druck zwar die Tötung des 59-Jährigen, nicht aber, dass der Kronprinz selbst den Befehl dazu gegeben habe. Nicht nur die „New York Times“ berichtet von eindeutigen Hinweisen auf die Verwicklung von MbS – „Mister Bone Saw“ (Herr Knochensäger), wie er spöttisch genannt wird – in den Fall. Wer aber ist dieser 33-Jährige wirklich, auf dem so viele Hoffnungen  einer mutigen Modernisierung des streng wahabitischen Königreichs ruhen, der das Fahrverbot für Frauen aufhob und „mehr Spaß und mehr freie Marktwirtschaft“ verspricht? Und der zugleich im Jemen mit gnadenloser Härte durchgreift, wo Bürgerkrieg und Cholera abertausende Menschen das Leben kosten.

Der kaltschnäuzige Mord im Konsulat jedenfalls kommt einem zupass: Recep Tayyip Erdogan. Der türkische Präsident, der das einst demokratische Land am Bosporus in einen autokratischen Überwachungsstaat verwandelt, nimmt ihn zum Anlass, sich einmal mehr als moralische Instanz im Kampf gegen den Terror zu inszenieren. Nicht anders begründet er auch sein skrupelloses Vorgehen gegen Kritiker: Rund eine Viertelmillion Menschen – darunter viele Kurden – soll Erdogans Säuberungen zum Opfer gefallen sein. Im April gelang es dem 64-Jährigen, per Referendum ein Gesetzespaket durchzusetzen, das das Parlament faktisch entmachtet. Ziel ist die Alleinherrschaft. Tausende Journalisten, Juristen und Kritiker sind weiterhin in Haft, darunter immer noch sieben Deutsche.

Weltweit sind Demokratisierungsprozesse in Auflösung begriffen: In China wurden die Hoffnungen darauf im Keim erstickt, als der Volkskongress im März eine Verfassungsänderung abnickte, die Xi Jingping zum Staatspräsidenten auf Lebenszeit macht. Das ölreichste Land der Welt, Venezuela, treibt sein korrupter Staatschef Nicolás Maduro nach einer zweifelhaften Wiederwahl in den wirtschaftlichen und politischen Kollaps – mindestens drei Millionen Venezolaner leben im Exil. In Brasilien wurde mit Jair Bolsonaro ein ausgewiesener Rassist und Gewaltverherrlicher an die Staatsspitze gewählt. Werden sich 2019 die antidemokratischen Prozesse noch zuspitzen? Nach einer positiven Wende sieht es jedenfalls derzeit nicht aus.

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