Moderne Kommunikation Stirbt das Telefonieren bald aus?

Berlin · Vom Festnetz ruft nur noch Mutti an, die Nichte schreibt per Whatsapp, die Freundin schickt permanent Sprachnachrichten. Was ist da los?

Im Berliner Museum für Kommunikation haben sie einen Spitznamen: die „grauen Mäuse“. Viele Besucher bleiben vor den Telefonen mit den Wählscheiben stehen. Die älteren werden da nostalgisch. Kinder fragen: Wie geht das? Und was ist das für eine komische Scheibe?

Die grauen Telefone gehörten im Westen Deutschlands zu den 70er Jahren wie Helmut Schmidt und VW-Käfer. In großmütterlichen Haushalten bekamen sie eine Brokathülle verpasst. Auf der Wählscheibe standen ordentlich notiert die Nummern von Notruf und Feuerwehr. Was ein „Display“ ist, wusste noch kein Mensch.

Es waren die Zeiten, als man noch nicht sehen konnte, wer anruft. Kinder lernten, sich mit Vor- und Nachnamen zu melden. Ein einfaches „Hallo“ war undenkbar. Hatte man es nicht rechtzeitig zum Telefon geschafft, musste man warten, bis sich der Anrufer wieder meldete: Chance verpasst!

Wenige Gegenstände erzählen so viel darüber, wie sich der Alltag verändert hat, wie Telefone. Heute sieht das graue Modell vorsintflutlich aus – ein Relikt aus der Zeit, als unverheiratete Frauen noch „Fräulein“ hießen. Für DDR-Bürger waren Telefonanschlüsse wie so vieles Mangelware. Ost-typisch: In den Büros wurde zur Begrüßung gerne „Teilnehmer!“ ins Telefon gebellt.

Mit dem Zeitalter der Handys wurde vieles anders. Telefonzellen verschwanden: Waren es 2006 noch 110 000, so sind es mittlerweile nur noch um die 20 000. Auch die Zahl der Festnetzanschlüsse sinkt. Zählte die Deutsche Telekom 2010 noch 36 Millionen Anschlüsse, waren es vergangenes Jahr 27,9 Millionen. Daheim klingelt es also immer weniger. Auch bei den Gesprächsminuten gehen die Kurven nach unten, besonders beim Festnetz. „Die Telefonkultur verschwindet“, schrieb das US-Magazin „The Atlantic“. Der Befund: Keiner nimmt noch ab, wenn es klingelt.

In der Fernsehserie „Das Pubertier“ erschrickt die Teenager-Tochter, als auf einmal ein Junge auf dem Handy anruft. Sie nimmt lieber erstmal nicht ab. Telefonieren, das ist für manche in Zeiten von Whatsapp, SMS und Mail zu etwas Intimem geworden. Eine Kolumnistin des Magazins „Edition F“ mag es lieber schriftlich: „Ein Anruf kommt mir oft vor wie ein Überfall aus dem Hinterhalt. Man weiß nie, wobei man den anderen gerade stört.“ Ruft also nur noch Mutti an? Ganz so drastisch ist es nicht, viele nutzen auch Internetdienste wie Whatsapp zum Telefonieren. Für 2018 sagte eine Studie der Unternehmensberatung Dialog Consult, dass im Schnitt in Deutschland 896 Millionen Minuten am Tag gesprochen wird. Das ist weniger als vor ein paar Jahren, aber deutlich mehr als noch 1998. Und durchschnittlich sind es täglich um die 13 Minuten pro Person ab 16 Jahren.

Es ist also nicht so, dass gar nicht mehr telefoniert wird. Es passiert eher auf anderen Drähten als früher. „Das würde ich so unterschreiben“, sagt der Studienautor Torsten Gerpott von der Universität Duisburg-Essen. „Dass wir gar nicht miteinander reden, zeigen die Statistiken nicht.“ Denn: Die Textnachricht passt nicht für jede Lage. „Immer wenn es auf den Kontext und auf Zwischentöne ankommt, werden wir auch weiter das klassische Gespräch nutzen.“

Klar ist: Die Jüngeren kommunizieren anders. Torsten Gerpott kennt das von seinen vier Kindern. Die melden sich beim Papa fast nur über Whatsapp. „Dass mich einer anruft, kommt am Geburtstag vor.“

Beliebt sind bei den Nutzern von Messenger-Diensten wie Whatsapp auch die Sprachnachrichten. Laut einer Studie des Digitalverbandes Bitkom verschickt mehr als die Hälfte diese gesprochenen Botschaften – bei den Jüngeren zwischen 14 und 29 Jahren sind es demnach sogar rund drei Viertel. Auf der Straße sieht das fast so aus, als würden die Leute in ihr Handy beißen, wenn sie Nachrichten aufnehmen. Ein typisches Bild für den Telefon-Alltag im Jahr 2018.

Und wie sieht die Zukunft aus? Bald könnte alles Mögliche zum Telefon werden – Brille, Kopfhörer, Kleidung, heißt es bei der Telekom. Wichtig ist die Sprache, siehe die Lautsprechersysteme, mit denen man reden kann. „Generell gehen wir davon aus, dass Kommunikation immer wichtig bleiben wird, denn sie ist ein menschliches Urbedürfnis“, erklärt Telekom-Sprecherin Verena Fulde. Nur die Art der technischen Unterstützung werde sich ändern. „Das Smartphone werden wir bald im Museum bewundern können.“

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