Höhen und Tiefen einer Amtszeit

Charlotte. Vier Jahre nach dem historischen Wahlsieg kehrt Barack Obama nur noch selten zu der wolkigen Poesie früherer Wahlkampfreden zurück. Statt über Hoffnung und Wandel spricht der Präsident heute offen über sein Versagen, die bittere Spaltung der Amerikaner zu überwinden und das politische Klima in Washington positiv zu verändern

Charlotte. Vier Jahre nach dem historischen Wahlsieg kehrt Barack Obama nur noch selten zu der wolkigen Poesie früherer Wahlkampfreden zurück. Statt über Hoffnung und Wandel spricht der Präsident heute offen über sein Versagen, die bittere Spaltung der Amerikaner zu überwinden und das politische Klima in Washington positiv zu verändern. "Als ich ins Amt kam, hoffte ich, Republikaner und Demokraten würden zusammenkommen", sagte Obama Anfang Juni. Er war mit dem Anspruch angetreten, die Supermacht zu transformieren. Wie seine Vorbilder Ronald Reagan, Franklin D. Roosevelt oder Abraham Lincoln.Mit ein wenig Unterstützung von der anderen Seite - den Republikanern - wäre sehr viel mehr drin gewesen, glaubt Obama heute. So hätte zum Beispiel die Konjunkturspritze gleich zu Beginn seiner Amtszeit deutlich größer ausfallen können. Das rächt sich nun mit einer Arbeitslosenquote, die hartnäckig über acht Prozent bleibt. Ohne Kooperationsbereitschaft im Kongress kann ein Präsident in der von Kompromissen abhängigen politischen Ordnung der USA aber nicht mehr machen, als zu appellieren. Obama bekam das mehr als einmal schmerzhaft zu spüren. Um eine Mehrheit von 60 Stimmen im Senat zu sichern, musste der Präsident in den beiden ersten Jahren seiner Amtszeit den wenigen gesprächsbereiten Republikanern so viele Zugeständnisse machen, dass eine Reform nach der nächsten verwässerte.

Umso erstaunlicher bleibt, was der Amtsinhaber von seinen Wahlversprechungen erfüllen konnte. Laut den unabhängigen Faktenprüfern von "Politifact" hat Obama von mehr als 500 spezifischen Versprechen 51 Prozent eingelöst. Dazu gehören das Ende des Irak-Kriegs, die Tötung Osama bin Ladens und die Dezimierung der Führungsriege von Al Qaida, der Beginn des Rückzugs aus Afghanistan, die Jahrhundertreform des Gesundheitswesens und das Ende der Diskriminierung homosexueller Soldaten.

Ein weiteres Drittel, darunter der Klimaschutz, Einwanderung und Energie, hängt fest. In 15 Prozent der Fälle konnte Obama sein Wort nicht halten. Am spektakulärsten scheiterte er mit seinem Versprechen am Tag nach Amtsantritt, das umstrittene Gefangenenlager Guantanamo binnen Jahresfrist zu schließen.

Obama denkt wie ein Schachspieler zwei Züge voraus. Er schließt andere mit in Entscheidungsprozesse ein, zeigt bemerkenswerte Geduld und Hartnäckigkeit. Er formuliert die großen Ziele, überlässt anderen das Gerangel um die Details, um dann am Ende das Mögliche durchzusetzen. Der stellvertretende Sicherheitsberater Ben Rhodes nannte diesen Stil einmal "von hinten führen". Das setzt ihn dem Verdacht der Indifferenz aus und macht ihn in den Augen seiner Kritiker in der Außenpolitik zu einem Beschwichtigungspolitiker. Doch die Ergebnisse sprechen für sich. Von Ägypten über Libyen bis hin zur geschlossenen Sanktionsfront gegen Iran zahlt sich Obamas Politik der ruhigen Hand bisher aus.

Bislang hat es noch kein Präsident geschafft, mit einer Arbeitslosenquote über acht Prozent im Weißen Haus zu bleiben. Obama ahnt, dass es knapp wird, plant aber selbstbewusst für eine zweite Amtszeit. "Die wirkliche Frage ist nicht, wie es uns heute geht", sagte Obama kürzlich. "Es ist die Frage, was wir morgen machen." Das ist die Entscheidung vor die Obama die Amerikaner im November stellen möchte. sp

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