Geheimdienste am PrangerEU-Parlament will sechs Nacktscanner loswerden

Washington. So ärgerlich hatten die Amerikaner ihren Präsidenten noch nicht gesehen. In unmissverständlichen Worten las er den Geheimdiensten die Leviten. "Wir müssen besser werden, wir werden besser, und wir müssen es schnell machen. Das Leben von Amerikanern steht auf dem Spiel", polterte der sonst eher "coole" Obama in die Kameras

Washington. So ärgerlich hatten die Amerikaner ihren Präsidenten noch nicht gesehen. In unmissverständlichen Worten las er den Geheimdiensten die Leviten. "Wir müssen besser werden, wir werden besser, und wir müssen es schnell machen. Das Leben von Amerikanern steht auf dem Spiel", polterte der sonst eher "coole" Obama in die Kameras. "Das Versagen bestand nicht darin, Geheimdienstinformationen zu sammeln", analysierte er die Beinahe-Katastrophe am Heiligabend bei Detroit. "Versagt wurde darin, bereits vorhandene Informationen zu kombinieren und verstehen." Aus Sicht des Präsidenten ein völlig inakzeptabler Zustand, "den ich nicht tolerieren werde".

Einer der Anwesenden, der vorher an dem Krisentreffen der Verantwortlichen für die verschiedenen Sicherheitsbehörden der USA mit Obama teilgenommen hatte, musste sich besonders angesprochen fühlen: Dennis C. Blair, der als Nationaler Direktor für die Geheimdienste gleichzeitig Chef des "National Counterterrorism Centers" (NCTC) ist. Entstand diese Organisation doch etwa drei Jahre nach dem 11. September 2001 als Konsequenz aus den desaströsen Pannen des verworrenen Netzes aus 16 Spionage- und Aufklärungsdiensten.

Obwohl der NCTC im jüngsten Fall des "Bein-Bombers" von Detroit Zugriff auf alle Informationen aus dem Sicherheitsapparat hatte, schliefen die Analysten tief und fest. Bereits im August hörte das "große Ohr" der Geheimdienste, die National Security Agency (NSA), Gespräche von Al-Qaida-Führern in Jemen ab, die sich spezifisch über einen "Nigerianer" unterhielten. Im gleichen Monat traf Umar Farouk Abdulmutallab vor Ort ein, um den Anschlag von Detroit vorzubereiten. Die Informationen landeten in der zentralen Datenbank der Geheimdienste, wo sie unbeachtet ruhten.

Vier Monate später informierte die für die Auslandsspionage zuständige CIA aus Nigeria den NCTC über die Warnungen von Abdulmutallabs Vater. Parallel dazu ging im Center ein Bericht des Außenministeriums ein, das die Angaben aus der Botschaft in Lagos zusammenfasste. Statt das Visum Abdulmutallabs zu widerrufen, wartete das Ministerium auf Weisung aus dem NCTC. Vergeblich.

Weil in Blairs Behörde niemand das Puzzle zusammensetzte, tappte auch der "Terrorism Screening Center" (TSC) der Bundespolizei FBI im Dunkeln. Dort werden die Listen geführt, mit Hilfe derer Fluggesellschaften, Transportsicherheit und andere Behörden über konkrete Bedrohungen in Kenntnis gesetzt werden.

"Es liegt nicht an den Strukturen", analysiert Obamas Chef des Nationalen Sicherheitsrats, Denis McDonough, die Panne. Vielmehr habe der Apparat versagt, die vorliegenden Informationen "angemessen zu analysieren und zu gewichten". Der Geheimdienstdirektor übernahm die Verantwortung - ohne allerdings seinen Rücktritt anzubieten. Brüssel. Angeboten werden sechs "Nacktscanner" aus dem Jahr 2002, Anschaffungspreis 720 000 Euro. Nachfragen sind bis zum 6. Februar zu richten an das Europäische Parlament, Rue Wiertz, 1040 Brüssel. Am Donnerstag kommender Woche soll diese Ausschreibung im Amtsblatt der EU erscheinen. Kurz nach den Anschlägen in New York und Washington hatte die Verwaltung der europäischen Volksvertretung die sechs Geräte angeschafft. Seither gammeln die Kabinen in einem Brüsseler Keller vor sich hin. Eingesetzt wurden sie nie.

Interessenten sollten sich die Anschaffung dennoch gut überlegen. Denn die EU-Geräte gehören zur ersten Generation der Ganzkörper-Screenings, von denen noch niemand weiß, ob sie überhaupt benutzt werden dürfen. Heute wollen Experten aus den 27 Mitgliedstaaten der Union zum ersten Mal beraten, welche Regeln die Kommission für einen Einsatz innerhalb der Union erlassen soll. Spätestens im Frühling, so der Rechtsexperte des Parlamentes, Klaus Heiner Lehne (CDU), sei mit einem Vorschlag zu rechnen. Dass Brüssel zur Erhöhung der Flugsicherheit die Scanner vorschlagen wird, ist absehbar. Die Experten hoffen allerdings, dass der öffentliche Streit über die Durchleuchtung der Passagiere dann abgeklungen ist. Schließlich, so argumentiert man, würden viele Ängste bisher vor allem dadurch geschürt, dass nur über die Geräte der ersten Generation geredet werde. Tatsächlich aber liefern die Hersteller inzwischen Technologien, die Passagiere auf zehn bis 20 Meter Entfernung abtasten und dabei so schwache Röntgenstrahlen nutzen, wie sie jeder Mensch bei einem fünfminütigen Aufenthalt im Freien abbekommt. Geschlossene Kabinen, die von jedem Fluggast einzeln und identifizierbar Körperfotos generieren, seien von gestern - und damit auch ein Großteil der ethischen Einwände vom Tisch. So wird die Regelung der Briten, Kinder vom Scannen auszunehmen, um nicht mit den Gesetzen gegen Minderjährigen-Pornographie in Konflikt zu kommen, von Fachleuten als überholt abgetan.

Trotzdem gibt es weiter Bedenken. "Ein Mehr an Sicherheit im Flugverkehr ist nicht allein eine Frage der technischen Ausrüstung", sagt Markus Ferber, Chef der CSU-Europa-Abgeordneten im Straßburger Plenum. "Nötig ist ein umfassendes und vernetztes Sicherheitskonzept." Der verhinderte Anschlag auf den amerikanischen Airbus zeige, dass es vor allem an der "Zusammenarbeit von Polizei und Justizbehörden in den USA und auch bei uns in Europa mangelt."

Meinung

Ein handfester Skandal Ein Konzept ist notwendig

Von SZ-Korrespondent

Thomas SpangVon SZ-Korrespondent

Detlef Drewes

Dass es dem amerikanischen Sicherheitsapparat offenbar immer noch nicht gelingt, seine Datenbanken zu vernetzen, erstaunt nicht nur. Nach der Katastrophe vom 11. September und Milliarden-Investitionen in den Heimatschutz kann man hier von einem handfesten Skandal sprechen. Nur dank der Wachsamkeit von Mitreisenden konnte der Anschlag über Detroit verhindert werden. Doch darauf können und dürfen sich die USA in Zukunft nicht verlassen. Das weiß Präsident Obama, der das Versagen der Geheimdienste bloßstellte. Anders als nach dem 11. September versucht das Weiße Haus unter seiner Führung jedenfalls nicht, den Anteil der Regierung am Beinahe-Desaster zu vertuschen.

Transparenz ist allerdings nur der erste Schritt. Nun müssen schnell weitere folgen. Dazu gehört ganz vordringlich die Verknüpfung der vorhandenen Datensätze. Ebenso wichtig ist jedoch: Die Kompetenzen innerhalb des verschlungenen Sicherheitsapparats müssen endlich klar verteilt werden.Der Streit um den Einsatz der Nacktscanner zielt am eigentlichen Problem vorbei. Sowohl die Anschläge von 2001 wie auch das versuchte Attentat auf den Denver-Flug 2009 hätten verhindert werden können. Denn die notwendigen Informationen lagen vor, wurden aber nicht beachtet, nicht genutzt, blieben ohne Konsequenzen. Deshalb haben die Kritiker der millionenschweren Aufrüstung unserer Airports Recht: Notwendig ist zunächst ein Sicherheitskonzept, um zu garantieren, dass Informationen dort ankommen, wo sie hingehören und notwendige Gegenmaßnahmen auslösen. Es ist ja geradezu eine Farce, dass lustlose Sicherheitsbeamte an den Flughäfen jedes Baby durchleuchten wollen, während Augenzeugen-Hinweise auf einen konkreten Terroristen unbeachtet liegenbleiben.

Hintergrund

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) im Saarland hält die Diskussion über den möglichen Einsatz von Körperscannern an Flughäfen für "kurzsichtig". Landesvorsitzender Michael Rupp erklärte, auch Körperscanner könnten nicht völlig ausschließen, dass Sprengstoff mit an Bord gebracht würde, beispielsweise im Körper eines Attentäters. Außerdem müsse auch darüber nachgedacht werden, wie Anschläge auf vollbesetzte Züge, Diskotheken oder Kaufhäuser zu verhindern sind. Für eine effektivere Terrorbekämpfung sei es unter anderem notwendig, die Informationsverarbeitung auf nationaler und internationaler Ebene zu optimieren. In einer Forsa-Umfrage für den "Stern" sprachen sich 63 Prozent der Befragten für den Einsatz von Körperscannern aus. red

Hintergrund

Der Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab ist wegen des versuchten Anschlags auf eine Passagiermaschine über Detroit angeklagt worden. Eine Grand Jury (Anklagekammer) entschied, dass sich der 23-Jährige in sechs Punkten verantworten soll. Hauptpunkte sind der versuchte Gebrauch einer Massenvernichtungswaffe und versuchter Mord. dpa

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