Frau Becker kämpft für höhere Kinderfreibeträge

Hannover · Die Berechnung der Kinderfreibeträge bei der Steuer ist aus Sicht des niedersächsischen Finanzgerichts verfassungswidrig. Geklagt hatte Reina Becker, eine 54-jährige Witwe und Mutter zweier Kinder. Nun ist Karlsruhe am Zug.

 Seit Jahren kämpft Reina Becker gegen das Ehegattensplitting und zu niedrige Kinderfreibeträge. Foto: dpa

Seit Jahren kämpft Reina Becker gegen das Ehegattensplitting und zu niedrige Kinderfreibeträge. Foto: dpa

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"Die wertvollste Entscheidung in meinem Leben war es, Kinder zu bekommen - wohl auch die teuerste." Reina Becker ist eine Frau klarer Worte. Die alleinerziehende Mutter fühlt sich ungerecht behandelt. Sie ist Steuerberaterin mit eigener Kanzlei und einem Team in Westerstede im niedersächsischen Landkreis Ammerland und streitet nun vor Gericht um eine neue Ausgestaltung des Kinderfreibetrages.

Bei ihrer Arbeit ist die 54-Jährige auf das Problem aufmerksam geworden. Becker hat zwei Kinder und ist verwitwet. Als ihr Mann noch lebte, galt für sie der Splittingtarif. "Auf mein Gehalt und die niedrigere Rente meines Mannes haben wir beide 35 Prozent Steuern gezahlt", sagt sie. 2006 starb ihr Mann, seit 2008 werde sie nahezu besteuert wie ein Single und zahle den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. "Das sind jedes Jahr einige tausend Euro mehr, selbst bei Gegenrechnung des Kindergeldes", sagt Becker. Und das sei nicht gerecht. Das Ehegattensplitting fördere nicht die Familie, sondern privilegiere die Ehe. Als weitere Erkenntnis hat die Steuerberaterin festgestellt, dass die Kinderfreibeträge zu gering sind. "Das war sozusagen eine Nebenerkenntnis des Verfahrens zum Splittingtarif." Ihr seien in nur einem Jahr 820 Euro an Steuervergünstigungen entgangen.

Mit dem Kinderfreibetrag soll den Eltern ein bestimmter Teil des Einkommens steuerfrei belassen werden, um das Existenzminimum ihrer Kinder abzusichern. Die Freibeträge liegen aber bereits für Kinder ab sechs Jahren unter dem Sozialhilfeniveau, und erwachsene Kinder gehen in die Berechnung gar nicht erst ein. Für erwachsene, in Ausbildung befindliche Kinder wird nur der Kinderfreibetrag für Minderjährige berücksichtigt. Auch hiergegen entschloss sich Becker zu klagen. Die Ausgestaltung des Kinderfreibetrags, der aktuell im Jahr bei 2304 Euro pro Elternteil liegt, ist ihrer Ansicht nach verfassungswidrig. Das Finanzgericht Niedersachsen ist ebenfalls dieser Ansicht. "Das Verfahren wird ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt", sagte Richterin Georgia Gascard gestern.

Worum ging es in der Verhandlung genau? In regelmäßigen Abständen legt die Bundesregierung die neuen Freibeträge für Erwachsene und Kinder fest. Für 2014 sah der sogenannte Existenzminimumbericht vor, dass der sächliche Kinderfreibetrag bei 4440 Euro pro Kind, also bei 2220 Euro pro Elternteil liegen sollte. "Diese Ankündigung hat der Gesetzgeber jedoch nicht umgesetzt", heißt es beim niedersächsischen Finanzgericht. "Die Kinderfreibeträge sind vielmehr erst ab dem Veranlagungszeitraum 2015 angehoben worden." Der Betrag blieb im Jahr 2014 bei 4368 Euro und damit unter den eigenen Vorgaben. Doch dies stellt nur einen Aspekt der Klage dar. Für Richterin Gascard ging es um viel mehr, nämlich die Art und Weise der Berechnung. Begründung: Das steuerliche Existenzminimum gilt einheitlich für alle Kinder, egal wie alt sie sind. Und es liegt zum Teil deutlich unter den Beträgen, die Eltern für ihre Kinder im Sozialhilfefall ausgezahlt bekämen. Die Sozialhilfe wird aber nach dem Alter der Kinder gestaffelt gezahlt. Diese Ungleichbehandlung ist nach Ansicht des Gerichts verfassungswidrig.

Jetzt ist also das Bundesverfassungsgericht am Zug. "Bis dort eine Entscheidung gefällt wird, können drei oder vier Jahre vergehen", sagt allerdings Finanzgerichtssprecher Jörg Grune. Die Karlsruher Richter könnten die Klage sogar ablehnen, das gilt aber als unwahrscheinlich. Sollte auch das Bundesverfassungsgericht im Sinne von Klägerin Becker entscheiden, gibt es zwei Möglichkeiten: Die wahrscheinlichste wäre, dass es der Bundesregierung eine Frist einräumt, innerhalb derer sie die verfassungswidrigen Punkte ändern muss. "Es könnte aber auch sein, dass das Gericht der Bundesregierung eine Nachzahlung der Steuerfreibeträge auferlegt", erklärt Becker. Sie war gestern nach der Sitzung jedenfalls sehr erleichtert: "Das ist in der Tat ein Meilenstein. Wir haben schon früh gespürt, dass das Gericht in dieser Frage nicht mauert."

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