Jetzt auch noch Österreich?

Wien · Erst Brexit. Dann Trump. Jetzt Österreich? Bei der Wiederholung der Bundespräsidenten-Stichwahl könnte jetzt in der Alpenrepublik erstmals ein Rechtspopulist zum Staatsoberhaupt gewählt werden.

 Man kennt sich, man schätzt sich: Norbert Hofer und die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen Mitte Juni in Wien. Foto: dpa

Man kennt sich, man schätzt sich: Norbert Hofer und die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen Mitte Juni in Wien. Foto: dpa

Foto: dpa

Das Facebook-Video der Holocaust-Überlebenden Gertrude ist ein Warnruf vor der unseligen Wirkung rechter Demagogen. "Das Niedrigste aus dem Volk, aus den Leuten herausholen. Nicht das Anständige" - in einfachen Worten und ungelenken Sätzen spricht die 89-jährige Wienerin in dem fünfminütigen Unterstützer-Film für Alexander Van der Bellen. Die alte Dame meint, die Weltsicht der FPÖ und ihres Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer erinnere sie an dunkle Zeiten. Mehr als drei Millionen Mal wurde das Video angeklickt.

Ob der Film die Stimmung unter den 6,4 Millionen Wahlberechtigten beeinflussen kann, weiß niemand. "Aber ein Nadelstich gegen die FPÖ ist er schon", sagt der Politologe Peter Filzmaier. Wahlempfehlungen von Alltagsmenschen seien wirksamer als die von Prominenten. "Eine Gertrude kann die FPÖ nicht angreifen. Sie hat kein Eigeninteresse, sondern sagt nur ihre Meinung." Es bleibt auf alle Fälle spannend.

Nach einem elfmonatigen, von Pannen, Pleiten und üblen Schlammschlachten geprägten Wahlkampf ist der Ausgang des Urnengangs am Sonntag völlig offen. In der ersten Wahlrunde im April hatte der 45-jährige Hofer die Kandidaten der Parteien aus dem Rennen geworfen, die die österreichische Politik seit Jahrzehnten dominierten. Die Bewerber der sozialdemokratischen SPÖ und der konservativen ÖVP schieden mit mageren elf Prozent aus. Stattdessen kam der meist höflich und lächelnd auftretende FPÖ-Vize mit rund 35 Prozent auf den ersten Platz. Die Stichwahl im Mai gewann zwar der 72-jährige Van der Bellen zunächst mit einem hauchdünnen Vorsprung. Was Frank-Walter Steinmeier frohlocken ließ: "Europa fällt ein Stein vom Herzen." Doch die FPÖ zog wegen Unregelmäßigkeiten vor Gericht - und bekam Recht.

Fassungslos nahmen die Wähler und der Rest Europas dann die nächste Panne zur Kenntnis: Die geplante Wiederholung der Stichwahl Anfang Oktober musste wegen eines nicht haftenden Klebers auf den Briefwahlumschlägen verschoben werden. Nun hoffen die Österreicher und auch die Kandidaten auf ein Ende des Dauerwahlkampfes, der teils bitterböse Züge angenommen hatte. Plakate von Hofer wurden mit Hitler-Bärtchen bemalt, die von Van der Bellen mit Hunde-Exkrementen beschmiert. Die Sicherheit für den grünen Kandidaten musste wegen Morddrohungen verstärkt werden. Ein unmoderiertes Fernsehduell zwischen den beiden im Mai lief völlig aus dem Ruder. Nach einer Zeit der Zurückhaltung beschimpften sich beide am Donnerstagabend dann wieder mehrfach als "Lügner".

Hofer profitiert von der rechtspopulistischen Welle gegen Globalisierung und Einwanderer, die ganz Europa erfasst hat. Der 45-Jährige, der infolge eines Paragliding-Unfalls am Stock geht, tritt dabei weitaus gemäßigter auf als andere FPÖ-Politiker. Doch er kann auch anders: Der Islam ist für ihn "kein Teil von Österreich", seinen Gegner beschimpfte er als "Kommunisten" und "grünen Diktator". Durch seinen Stil gelang es Hofer, konservative Wähler für sich zu gewinnen, die früher nie die FPÖ gewählt hätten, der über lange Zeit Verbindungen zu Neonazis vorgeworfen wurden. Er präsentierte sich als neues Gesicht in der Politik, während Van der Bellen oft hölzern und mit seinen 72 Jahren veraltet erschien. Was ein Sieg Hofers genau bedeuten würde, ist unklar. Theoretisch hätte er als Präsident die Befugnis, SPÖ-Kanzler Christian Kern zu entlassen. "Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist", hatte Hofer vor der ersten Wahlrunde gedroht. Die Aussage bedauerte er später. Wirklich?

Große Sorgen in Brüssel und Berlin

Auch Italien wählt - Referendum könnte Regierungschef Renzi hinwegfegen

Untergangs-Szenarien haben in Europa gerade Konjunktur. Am Sonntag könnte alles noch schlimmer werden, sagen die einen. Alles halb so wild, meinen die anderen. Neben Wien richten sich alle Augen auf Rom.

Brüssel/Berlin. Die Stimmung ist nicht gut: Wenn in Österreich Norbert Hofer gewinnt und in Italien Regierungschef Matteo Renzi scheitert, wird die Angst um die EU noch weiter um sich greifen. Auch Kanzlerin Angela Merkel muss sich Sorgen machen - um die Zukunft Europas und um ihre eigene.

Noch vor ein paar Jahren hätte Brüssel diesem Wahlsonntag gelassen entgegengesehen. Doch die EU ist geschwächt von Krisen und Breitseiten, von Selbstzweifeln und Populismus - und seit der Wahl von Donald Trump hält man fast alles für denkbar, sogar ein Auseinanderbrechen der Union. EU-Spitzenpolitiker halten bewusst Abstand zu den Untergangs-Szenarien. Auch der ehemalige Diplomat und Europaforscher Stefan Lehne sieht die EU noch nicht vor dem Kollaps. "Am 4. Dezember passiert weder in Italien noch in Österreich etwas, was an und für sich schwerwiegende Auswirkungen haben wird", sagt er. Doch könnten Erfolge für die rechtspopulistische FPÖ und die EU-kritische Fünf-Sterne-Bewegung in Italien Signale setzen - für mögliche Regierungswechsel in beiden Ländern und für das ganze Wahljahr 2017 in Europa.

In den Niederlanden steht der EU-Kritiker Geert Wilders für die Wahl im März in den Startlöchern, in Frankreich hofft die Rechtspopulistin Marine Le Pen im Mai auf Erfolg. "Das gefährlichste ist die französische Präsidentschaftswahl", sagt Lehne. Würde Le Pen wirklich gewählt und triebe sie den Austritt aus dem Euro oder der EU voran, das "wäre der Todesstoß für die Europäische Union ".

Und in Deutschland? Gut neun Monate vor der Bundestagswahl hätte vor allem die AfD Grund zum Jubel, wenn Hofer in Wien zum Präsidenten aufsteigt. Schneidet die AfD - beflügelt vom europaweiten Trend nach rechts - im Herbst gut ab, könnte die Regierungsbildung in Berlin schwierig werden. Hofer wiederum scheint nicht weit entfernt von Merkels Widersachern bei der CSU , wenn er sagt, die Kanzlerin habe Europa in der Flüchtlingspolitik "erheblichen Schaden zugefügt". Der vierfache Vater wendet sich gegen den Verlust österreichischer Werte durch "die neue Völkerwanderung" und ließ auf seine Wahlplakate den Slogan "Für Österreich mit Herz und Seele" drucken. dpa/afp

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort