EU-Parlament sucht neuen Chef

Straßburg · Am 17. Januar wird ein neuer Chef des EU-Parlaments gewählt. Gestern ernannten die Christdemokraten als letzte Fraktion den Italiener Antonio Tajani zu ihrem Kandidaten. Martin Schulz wird er allerdings nicht ersetzen können.

Gesucht wird ein neuer Präsident. Vorsitzender von 751 Abgeordneten aus 28 EU-Ländern. Von einer großen Mehrheit möglichst vieler Fraktionen getragen, stark, aber nicht so dominant wie sein Vorgänger Martin Schulz . Die 241 Mitglieder der christdemokratischen Mehrheitsfraktion im Straßburger Europa-Parlament verständigten sich gestern Abend auf den Mann, auf den das Profil passen soll: Antonio Tajani, 63 Jahre alt, Italiener und Mitglied der Partei Forza Italia von Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi . Ein umstrittener Politiker, denn Tajani war bis 2014 als Industriekommissar ausgerechnet für den Bereich zuständig, in den das Parlament Licht bringen will: die Abgasaffäre. Die Vorwürfe gegen ihn wiegen schwer, denn Tajani soll von der Schummelei mit Grenzwerten gewusst und nichts dagegen unternommen haben.

Dass der Konservative in die Fußstapfen seines Vorgängers Martin Schulz treten kann, ist zweifelhaft. Aber das soll er auch nicht. Denn mit dem Wechsel von Schulz in die Bundespolitik wird auch ein neues Amtsverständnis in der europäischen Volksvertretung einziehen: Nicht mehr der von einer breiten Mehrheit getragene Präsident, sondern die gestärkten Fraktionsvorsitzenden sollen die politische Führungsrolle auch in der Öffentlichkeit übernehmen. Bisher waren Schulz und der Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker , so etwas wie die Garanten einer ungeschriebenen Großen Koalition in Straßburg , zu der sich - je nach Entscheidung - auch die Grünen und die Liberalen gesellten. Dieser Burgfriede sei vorbei, heißt es aus den Reihen der Christdemokraten. Spätestens in dem Augenblick, in dem die Sozialdemokraten entgegen einer Absprache einen eigenen Kandidaten ins präsidiale Rennen schicken: Fraktionschef Gianni Pittella. Dass auch die Grünen mit Philippe Lamberts eigene Ansprüche anmelden, gilt als eher symbolischer Akt. Bei den Liberalen wird noch überlegt, ob man Fraktionschef Guy Verhofstadt benennt.

Die EVP-Politiker aber hatten darauf gesetzt, dass die Sozialdemokraten einen konservativen Kandidaten mittragen - so wie das vor zweieinhalb Jahren umgekehrt der Fall war. Pittellas Kandidatur gilt als Kampfansage, obwohl sie nachvollziehbar begründet wird. An der Spitze der Kommission und des EU-Gipfels stehen mit Juncker und Tusk bereits zwei Christdemokraten. Da könne nicht auch das Parlament noch der Union in die Hände fallen. Das Ränkespiel in der politischen Mitte der Volksvertretung hat seinen Grund: Man will sich gegen die zahlenmäßig erstarkten EU-Kritiker und -Gegner am rechten und linken Rand wehren und dafür sorgen, dass der Parlamentsbetrieb weiter reibungslos läuft. Ob Tajani dafür der Richtige ist, muss sich zeigen. Denn seine Wahl zum Kandidaten der EVP heißt noch nicht, dass er auch im Plenum eine Mehrheit hat.

Meinung:

Kein zweiter Schulz

Von SZ-Korrespondent Detlef Drewes

Niemand bestreitet, dass Martin Schulz an der Spitze des Europäischen Parlamentes eine Lücke hinterlässt. Mit einer bis dahin kaum vorstellbaren Deutlichkeit hat der SPD-Politiker der Volksvertretung in der Öffentlichkeit Gehör verschafft. Aber am Ende seiner Amtszeit gibt es auch jene, die offen seine nicht selten parteiische Amtsführung kritisieren. Die politische Arbeit gehört in die Hand der Fraktionsvorsitzenden, heißt es. Dieses Konzept ist mehr als nur eine simple Kursänderung, weil man keinen passenden Nachfolger findet. Es könnte eine Stärkung der Volksvertretung bedeuten, weil an die Stelle der One-Man-Show endlich so etwas wie politische Rede und Gegenrede tritt - positiv für die Wähler.

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