Elversberger Pflegechefs ignorierten Alarmrufe

Saarbrücken/Spiesen-Elversberg. In der Chefetage der Arbeiterwohlfahrt in der Saarbrücker Hohenzollernstraße bestimmen Schock und Entsetzen seit Anfang dieser Woche den Alltag

Saarbrücken/Spiesen-Elversberg. In der Chefetage der Arbeiterwohlfahrt in der Saarbrücker Hohenzollernstraße bestimmen Schock und Entsetzen seit Anfang dieser Woche den Alltag. In dem tödlichen Pflegeskandal auf einer Station des Elversberger Seniorenheimes werden fast täglich neue, für die Verantwortlichen der Wohlfahrtsorganisation mit rund 4500 Mitarbeitern unfassbare Hintergründe bekannt. Zwei Pflegekräfte sollen über Monate hinweg ihnen anvertraute Schwerstkranke gequält, schikaniert und gedemütigt haben. Zwei Patienten sind deshalb möglicherweise vorzeitig verstorben. Die bislang verbreitete Botschaft, in Elversberg habe ein Kartell des Schweigens geherrscht, weil vielleicht Kollegen eingeschüchtert wurden, ist überholt. Am Freitag musste Awo-Landesgeschäftsführer Karl Fischer im Gespräch mit unserer Zeitung Informationen bestätigen, dass die bis April für Elversberg zuständigen Pflegechefs wohl Alarmsignale aus dem Mitarbeiterstab der betroffenen Station "OG 2" schlicht ignoriert haben.Fischer sitzt betroffen vor einem Bündel mit Unterlagen und schüttelt immer wieder den Kopf. Awo-Landeschef Paul Quirin versucht die blank liegenden Nerven mit Süßigkeiten zu beruhigen. Dem Awo-Führungsduo liegen Erklärungen von zehn Mitarbeitern vor. Wenn es stimmt, was die Belegschaft zu Papier gebracht hat, dann wurden der 35-jährige Intensivpfleger aus Überherrn und der 25-jährige Altenpfleger, denen die Misshandlungen der Patienten vorgeworfen werden, von zwei ihrer Vorgesetzten gedeckt. Vorwürfe wurden jedenfalls ignoriert. Fischer bestätigt: "Geschehen ist nichts!" Und er bestätigt auch, dass die Mitarbeiter voneinander unabhängig berichten, sie hätten bereits im Februar den damals zuständigen Pflegedirektor (59) und die Pflegeleiterin (31) an vier Terminen über die Machenschaften ihrer beiden Kollegen informiert. Etwa darüber, dass einem beatmeten Patienten die Kanüle gezogen wurde, und dieser gefragt wurde, wie es denn so sei, wenn man keine Luft mehr bekomme. Auch von den per Handy verbreiteten Fotos einer mit Schnurrbart und Gurkenscheiben verunstalteten bettlägerigen Frau wussten die Pflegechefs angeblich.

Weitere Vorfälle die, so die Mitarbeiterberichte, ohne Konsequenzen blieben: Ein Patient wurde mit Nitrospray ruhig gestellt. Einer psychisch Kranken wurden als Schikane ihre Lieblings-Plüschtiere weggenommen. Dokumentations-Unterlagen wurden verbrannt. Eine beatmete Frau wurde mit Softbällen beworfen. Einem betagten Pflegefall wurde gedroht, er bekomme kein Essen, wenn er nicht brav sei. Zudem soll der 35-jährige Stationsleiter am Fastnachtssonntag im Vollrausch zum Dienst erschienen sein. Auch Hinweise, auf der Station seien Betäubungs- und Schmerzmittel verschwunden, blieben lange ohne Reaktion. Fischer hat die beiden Pflegechefs, die zuletzt in Saarbrücken arbeiteten, bereits suspendiert. Nach SZ-Informationen sollen sie fristlos gefeuert werden. Bis in die Awo-Chefetage hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass der 35-jährige Intensivpfleger bei seinem früheren Arbeitgeber, einer Saarbrücker Klinik, wegen Drogenproblemen aufgefallen war und in Therapie geschickt wurde. An seinem früheren Arbeitsplatz, der Intensivstation, soll er Betäubungsmittel abgezweigt haben. Auf eigenen Wunsch schied er nach zehn Jahren im August 2011 aus dem Klinik-Dienst. Ein Arbeitszeugnis hat er angeblich bis heute nicht angefordert. Der Awo-Pflegedirektor stellte ihn ohne dieses Dokument ein und machte ihn zum Stationschef in Elversberg. Der Skandal schlägt in der Sozialpolitik hohe Wellen. Die Awo bemüht sich um Schadensbegrenzung. Für die 1400 Pflegekräfte in den Seniorenheimen wird kurzfristig eine Vertrauensperson benannt, bei der sie sich über Missstände beschweren können.

Zudem wird ein "Kummertelefon" für Angehörige ab Montag unter der Nummer (0800) 11 222 34 geschaltet. Mit Sozialminister Andreas Storm (CDU) ist vereinbart, dass die Awo einen anerkannten Pflegeexperten als Ratgeber anheuert. Storm selbst reagiert auf Landesebene, will vom Landtag einen Pflegebeauftragten wählen lassen. Mit welchen Kompetenzen und welchem Apparat dieser ausgestattet wird, steht noch nicht fest. Storm hat die Dimension des Elversberger Skandals erkannt. Einen solchen Fall habe es im Saarland und weit über dessen Grenzen hinaus noch nicht gegeben. "Das ist menschenverachtender Zynismus."

Fotos (2): Becker&Bredel

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