Die Verlierer des BildungssystemsMerkels Bildungsgipfel droht zu scheitern

Berlin. Kinder aus Einwandererfamilien sind im deutschen Schulsystem weiterhin die großen Verlierer. Die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John kritisierte gestern in Berlin, der große Abstand zu deutschen Kindern habe sich nicht verringert, obwohl sich die schulischen Erfolge insgesamt seit den Pisa-Tests verbessert hätten

 Den deutschen Schulen gelingt es nach wie vor nicht, Kinder aus Einwandererfamilien angemessen zu fördern. Foto: dpa

Den deutschen Schulen gelingt es nach wie vor nicht, Kinder aus Einwandererfamilien angemessen zu fördern. Foto: dpa

Berlin. Kinder aus Einwandererfamilien sind im deutschen Schulsystem weiterhin die großen Verlierer. Die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John kritisierte gestern in Berlin, der große Abstand zu deutschen Kindern habe sich nicht verringert, obwohl sich die schulischen Erfolge insgesamt seit den Pisa-Tests verbessert hätten. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), forderte "eine nationale Kraftanstrengung" für eine bessere Bildung von Jugendlichen aus Zuwandererfamilien und sprach sich erneut für eine verstärkte individuelle Förderung von Migrantenkindern aus.

Das Bildungssystem fördere die soziale Spaltung und zementiere soziale Ungleichheiten, kritisierte John. Jedes dritte Kind unter fünf Jahren hat inzwischen einen Migrationshintergrund. Dieser Gruppe mache das deutsche Bildungssystem kein "sachgerechtes Bildungsangebot", sagte John, die dem Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes angehört.

Sie legte eine wissenschaftliche Untersuchung ihres Verbandes vor, wonach 2008 immer noch mehr als doppelt so viele Jugendliche mit Migrationshintergrund (15 Prozent) ohne Abschluss von der Schule gingen wie Deutsche (6,2 Prozent). Das Verhältnis hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht geändert, obwohl der Anteil der Schulabgänger ohne Abschluss seit 1998 von neun auf sieben Prozent gesunken ist.

Entsprechend sind jugendliche Migranten beim Abitur deutlich unterrepräsentiert. Fast jeder dritte deutsche Schüler macht inzwischen Abitur, aber nur jeder zehnte Schüler mit Migrationshintergrund. An den Hochschulen schließlich fallen Migranten, die ihr Abitur in Deutschland gemacht haben, kaum noch ins Gewicht. Ihr Anteil an den Studenten beträgt derzeit lediglich 2,9 Prozent.

John forderte eine konsequente Sprach- und Lernförderung von Einwandererkindern zusätzlich zum Schulunterricht sowie mehr gemeinsame Schuljahre bis zur Trennung nach Gymnasien, Real- und Hauptschulen. Jedem Kind müsse garantiert werden, dass es in der Schule qualifiziert lesen, schreiben und rechnen lerne, erklärte sie. Die Studie ist Teil einer Bildungsinitiative des Forums der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen Wohlfahrtsverband unter dem Titel "AB In die Zukunft". Ziel ist die Erhöhung des Abiturientenanteils unter den Einwanderern.

Die Integrationsbeauftragte Böhmer erklärte, Deutschland könne sich keine Generation der Verlierer mehr leisten. Diskussionen über Schulstrukturen führten allerdings nicht weiter. Stattdessen müsse verstärkt auf individuelle Förderung der Migrantenkinder in den Schulen gesetzt werden und die Einbeziehung der Eltern forciert werden.

Böhmer warb mit einem bundesweiten Aktionstag für Bildungspatenschaften. Die ehrenamtlichen Paten unterstützen Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund dabei, Deutsch zu lernen, die Hausaufgaben zu machen oder einen Ausbildungsplatz zu finden. Am Aktionstag stellten sich insgesamt 180 Patenschafts- und Mentoringprojekte vor. epd

Berlin. Der Bildungsgipfel - ein Prestigeprojekt von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) - droht am Bund-Länder-Finanzstreit zu scheitern. Auch heute wird es beim Treffen der Regierungschefs von Bund und Ländern keine verbindlichen Beschlüsse geben. Im "Bremserhäuschen" sitzen die Ministerpräsidenten der Union. Aber auch die SPD-Länder wollen statt neuer, befristeter Sonderprogramme des Bundes auf Dauer mehr Anteile vom Steueraufkommen, um mehr Geld für Bildung zu haben.

Vollmundig hatten Kanzlerin und Ministerpräsidenten bei ihrem ersten Bildungsgipfel im Oktober 2008 viele zusätzliche Milliarden versprochen. Auf zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) sollten bis 2015 die Bildungs- und Forschungsausgaben angehoben werden. Würde das Versprechen auf der Basis des damaligen BIP umgesetzt, müssten Staat und Wirtschaft ab 2015 rund 41 Milliarden Euro mehr pro Jahr für Bildung ausgeben

Doch heute bestimmt der Streit um Zuständigkeiten und ein Pokern um höhere Anteile am Umsatzsteueraufkommen des Bundes das Bild. Auch die Fortsetzung der Sonderprogramme für Forschung steht unter Finanzvorbehalt. Hessen etwa will im nächsten Jahr bei Schulen und Hochschulen 75 Millionen Euro sparen. Und die durch den Schülerrückgang erzielte "demografische Rendite" wird von den Finanzministern immer häufiger zur Haushaltssanierung eingesetzt.

Doch es ist nicht nur die Wirtschaftskrise, die die Erwartungen beim Bildungsgipfel dämpft. Bei ihrem letzten Treffen hatten die Regierungschefs von Bund und Ländern nur noch einen Aufwuchs von 13 Milliarden in Aussicht gestellt. Hintergrund der geschrumpften Summe sind neue statistische Erfassungskriterien, auf die sich die Finanzminister verständigt haben.

Und so rechnen die Finanzminister die heutigen Bildungsausgaben in die Höhe: Allein für "kalkulatorische Unterbringungskosten" - gemeint ist die Bereitstellung von Grundstücken und Gebäuden für Schulen und Hochschulen - verbuchten die Länder auf ihrer Ausgabenseite zusätzliche zehn Milliarden Euro. Das Ergebnis dieser Rechenkunst: Laut Statistischem Bundesamt gaben Bund, Länder, Kommunen, Wirtschaft und Privatleute 2007 für Bildung rund 204 Milliarden Euro aus. Wendet man die neuen Kriterien an, so kommt man jetzt auf 240 Milliarden Euro.

Die Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses, Ulla Burchardt (SPD), ist entsetzt über diese "Rechentricks". "Noch ein bis zwei weitere Bildungsgipfel - und Schulen und Hochschulen müssen gar noch Geld an die Finanzminister zurückzahlen, weil das Zehn-Prozent-Ziel statistisch bereits übererfüllt ist", merkt sie sarkastisch an. dpa

Auf einen Blick

 Den deutschen Schulen gelingt es nach wie vor nicht, Kinder aus Einwandererfamilien angemessen zu fördern. Foto: dpa

Den deutschen Schulen gelingt es nach wie vor nicht, Kinder aus Einwandererfamilien angemessen zu fördern. Foto: dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sieben Schulen mit dem Deutschen Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung ausgezeichnet. Der mit 100 000 Euro dotierte Hauptpreis geht an die katholische Sophie-Scholl-Schule in Bad Hindelang-Oberjoch (Bayern). Die Schule ist einer Rehabilitationsklinik für chronisch kranke Kinder angegliedert, die an Asthma, Allergien und Übergewicht leiden. Nominiert war auch die Saarbrücker Grundschule Am Ordensgut. Unter dem Motto "Dem Lernen Flügel verleihen" hatten die Robert-Bosch-Stiftung und die Heidehof-Stiftung zusammen mit der Zeitschrift "Stern" und der ARD zum vierten Mal den Deutschen Schulpreis ausgeschrieben. 162 Schulen hatten sich beworben. Mit dem Preis sollen pädagogische Leistungen gewürdigt und Impulse für die Entwicklung von Schule und Unterricht gegeben werden. dpa

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