Rumpelstilzchen unter sichMerkel sucht den Kompass aus der KriseMöglichkeiten für eine stärkere Belastung von Besserverdienern gibt es zuhauf

Berlin. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU, Foto: ddp) nahm es gestern mit Ironie: "Ich springe den ganzen Tag laut schreiend und krakeelend durch die Lande. Passt scho", grinste der Bayer. Der Mann setzt sich eben nach Leibeskräften ein - mitunter für andere so nervend wie ein "Rumpelstilzchen"

 Verteidigungsminister Guttenberg ein "Rumpelstilzchen"? Der Volksmund bezeichnet damit kleinwüchsige Menschen, die durch ihr vorlautes oder aufbrausendes Wesen auffallen. Foto: dpa

Verteidigungsminister Guttenberg ein "Rumpelstilzchen"? Der Volksmund bezeichnet damit kleinwüchsige Menschen, die durch ihr vorlautes oder aufbrausendes Wesen auffallen. Foto: dpa

Berlin. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU, Foto: ddp) nahm es gestern mit Ironie: "Ich springe den ganzen Tag laut schreiend und krakeelend durch die Lande. Passt scho", grinste der Bayer. Der Mann setzt sich eben nach Leibeskräften ein - mitunter für andere so nervend wie ein "Rumpelstilzchen". Als ein solches soll ihn während der Kabinettsklausur Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) gescholten haben, wie gestern berichtet wurde. "Absolut unzutreffend" sei dies, ließ Angela Merkels Gehilfe prompt dementieren.

Nur: Das Problem ist nicht der Vergleich an sich, sondern, dass man den Koalitionären inzwischen jede Gemeinheit zutraut.

"Mutti", wie die Kanzlerin im Regierungsviertel auch von den eigenen Leuten genannt wird, hat ihre Truppe offenbar nicht im Griff. Weil sie einen anti-autoritären Erziehungsstil pflegt. Und weil Merkel von ihrem Vize Guido Westerwelle genauso wenig Unterstützung erhält wie von CSU-Chef Horst Seehofer. Westerwelle fehlt derzeit angesichts seines eigenen Absturzes und dem seiner Partei die Kraft, um seine Leute zu bremsen. Und Seehofer lässt sein deftiges, bayerisches Ensemble lieber von der Kette, anstatt es anzuleinen. In der Hoffnung auf mehr Profil. Es kommt hinzu, dass die Duz-Freunde Guido und Horst die Partei des jeweils anderen als das eigentliche Koalitions-Übel sehen. Auch das hat zu den verkorksten ersten Monaten der Regierung geführt.

Jeder, wie er will, weil keiner wirklich bremst. Das schwarz-gelbe Bündnis ist daher voller "Rumpelstilzchen", voller Koalitions-Rambos, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Neu in der Runde der Treter ist der parlamentarische Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Daniel Bahr. Der geschniegelte FDP-Mann mit der mustergültigen Sprache, gerade mal 33 Jahre alt, ist der Erfinder des "Wildsau-Vergleichs", der in den letzten Tagen für Furore sorgte. Die CSU sei "als Wildsau" aufgetreten, hatte er gepoltert, nachdem die Gesundheitspläne des Ministeriums eingestampft worden waren. Die Antwort folgte prompt. Von CSU-General Alexander Dobrindt, auch einer der koalitionsinternen Wadenbeißer mit fehlender Stopp-Taste. Die FDP entwickle sich zur gesundheitspolitischen "Gurkentruppe", keilte er zurück. Angela Merkel fiel zu diesem peinlichen Disput nur ein: Die Wortwahl sei "nicht nachahmenswert".

"Was uns das auf den Geist geht", heißt es seit längerem schon in der Unionsfraktion. Die Oberen balgen sich, die Abgeordneten müssen das miserable Koalitionsbild in den Wahlkreisen ausbaden. Dobrindt und FDP-General Christian Lindner gelten bei vielen als die Problemfälle im Zusammenspiel - beide können nicht gut miteinander, und weil inhaltliche Gemeinsamkeiten fehlen, wird umso mehr geholzt. Aber auch einige Minister lösen regelmäßig intern "Rumpelstilzchen-Alarm" aus: Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) etwa. Von seinen Auftritten im Verkehrsausschuss berichten selbst Koalitionäre nichts Gutes. Gleiches gilt für Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), dem die Kanzlerin regelmäßig die kalte Schulter zeigt. Oder Umweltminister Norbert Röttgen (CDU), dessen Atomausstiegspolitik vielen in der Union gehörig auf den Geist geht.

Allmählich dämmert es selbst den drei Spitzenkräften der Koalition, dass es so, wie es bislang lief, nicht weitergehen kann. Wegen der Wähler, und weil man ja ein historisches Sparpaket umsetzen möchte. Gestern telefonierte Seehofer mit Merkel, einiges soll bereinigt worden sein. Mit Westerwelle will er auch noch reden. Vielleicht hilft das. Stimmungsaufhellende Treffen der großen Drei, auch im Nobelrestaurant, haben die "Rumpelstilzchen" bislang nie zur Ruhe gebracht.

Berlin. Der CDU-Wirtschaftsrat ist für Angela Merkel so etwas wie die Höhle des Löwen. Der Verbandsvorsitzende Kurt Lauk fasst die Kanzlerin selten mit Samtpfoten an. Erst kürzlich warnte er seine Parteivorsitzende, das wirtschaftspolitische Erbe von Ludwig Erhard dürfe nicht verspielt werden. Manch Konservativem in der Union erscheint die Chefin als verkappte Sozialdemokratin. Auch in seiner Rede zum Wirtschaftstag der CDU-nahen Unternehmervereinigung gestern in Berlin warnte Lauk wieder vor einer "schleichenden Sozialdemokratisierung".

Zugleich aber fällt Merkel nun in Teilen der Partei in Ungnade, weil das Milliarden-Sparpaket der schwarz-gelben Koalition nicht sozial ausgewogen sei. Beladen von vielen Krisen in der Regierung, in der EU und in der Welt läuft Merkel als CDU-Vorsitzende seit geraumer Zeit einiges aus dem Ruder. Nach der Verkündung der geplanten Einschnitte hielt die Ruhe in der CDU kaum einen Tag. Nicht nur Sozialpolitiker, selbst Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) forderte einen stärkeren Beitrag von Besserverdienern über eine Anhebung des Spitzensteuersatzes. Auch Lauk ist dafür, wenn im Gegenzug der ermäßigte Mehrwertsteuersatz weitgehend aufgehoben wird. Das wird Merkel in ihrer Koalition mit der FDP wohl genauso wenig durchsetzen können wie die Freien Demokraten Steuersenkungen. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) bemühte sich um schnelle Klarstellung: Unter den Koalitionsspitzen seien Steuererhöhungen ausgeschlossen worden. Die soziale Balance sei gewahrt.

Merkel wollte am späteren Abend vor dem Wirtschaftsrat zur sozialen Marktwirtschaft sprechen und einen "Kompass aus der Krise" präsentieren. Einen solchen braucht Merkel aber zuallererst für die Bundespräsidentenwahl, die wiederum ganz eng mit dem Sparpaket verknüpft ist.

In der FDP provozieren Landespolitiker die Union mit Sympathien für den rot-grünen Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck. Die Hessen-FDP - Koalitionspartner von Roland Koch - droht sogar unverhohlen, den schwarz-gelben Bewerber, Niedersachsens Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU), scheitern zu lassen, wenn in der Union Erwägungen von Steuererhöhungen nicht aufhörten. Das wäre fatal für Merkel. Dass Wulff ihr dann nicht als CDU-Vize verloren ginge, wäre wohl nur ein schwacher Trost.dpa

Berlin. Für Besserverdiener und Vermögende sieht das schwarz-gelbe Sparpaket keine zusätzlichen Belastungen vor. Daher kommt auch aus Reihen der Koalition der Vorwurf einer sozialen Schieflage. Möglichkeiten, Besserverdiener stärker zu belasten, gibt es zuhauf:

Reichensteuer: Heute müssen Top-Verdiener ihre Einkünfte oberhalb von 250 000 Euro mit 45 Prozent besteuern. Möglich wäre, dass diese Grenze, ab der der Steuersatz gilt, gesenkt wird oder der Steuertarif selbst steigt. Ein nennenswerter Sanierungsbeitrag ist aber nicht zu erwarten.

Vermögensabgabe: Linkspartei, Grüne, Gewerkschaften und SPD machen sich seit langem für die Wiederbelebung der Vermögensteuer stark. Das Verfassungsgericht hatte sie 1995 für verfassungswidrig erklärt. 1996, im letzten Jahr ihrer Erhebung, brachte sie 4,6 Milliarden Euro.

Mehr Steuerprüfungen: Der Bundesrechnungshof hat Finanzämtern in der Vergangenheit vorgeworfen, Einkommensmillionäre unzureichend zu prüfen und so Milliarden-Steuerausfälle in Kauf zu nehmen. Bei schätzungsweise 15 400 Einkommensmillionären in Deutschland käme man bei durchgehenden Prüfungn auf über zwei Milliarden Euro.

Erbschaftssteuer: Finanzexperten halten die erst mehr als ein Jahr alte Reform der Erbschaft- und Schenkungssteuer für verkorkst. Hier gibt es manche Privilegien und hohe Freibeträge. Für Firmenerben hat die Koalition die Vorgaben für eine Steuerbefreiung zum Januar 2010 noch gelockert.dpa

"Ich springe den ganzen Tag laut schreiend und krakeelend durch die Lande.

Passt scho."

Verteidigungsminister zu Guttenberg

zum Vorwurf, er habe sich aufgeführt wie Rumpelstilzchen

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