Die Angst vor einer verlorenen Generation"Junge Menschen glauben an sich, auch in Krisensituationen"

Genf. Die Meldungen aus der Wirtschaft werden Monat für Monat besser. Das Ende der weltweiten Rezession scheint erreicht, immer mehr Unternehmen melden nach dem Krisenjahr 2009 wieder satte Gewinne. Auch auf den Arbeitsmarkt schlägt die Erholung zunehmend durch - allerdings nur, wenn es um die erwachsenen Jobsuchenden geht

 Für junge Menschen ist die Jobsuche durch die Wirtschaftskrise weltweit noch deutlich schwieriger geworden - Experten der UN fürchten deshalb eine verlorene Generation. Foto: Cara

Für junge Menschen ist die Jobsuche durch die Wirtschaftskrise weltweit noch deutlich schwieriger geworden - Experten der UN fürchten deshalb eine verlorene Generation. Foto: Cara

Genf. Die Meldungen aus der Wirtschaft werden Monat für Monat besser. Das Ende der weltweiten Rezession scheint erreicht, immer mehr Unternehmen melden nach dem Krisenjahr 2009 wieder satte Gewinne. Auch auf den Arbeitsmarkt schlägt die Erholung zunehmend durch - allerdings nur, wenn es um die erwachsenen Jobsuchenden geht. Während viele Menschen den schlimmsten Teil des Abschwungs wohl durchlitten haben, kämpft die Jugend überall noch mit seinen Folgen. Sie steckt so stark im wirtschaftlichen Abwärtsstrudel wie nie: Eine Rekord-Arbeitslosenzahl von 81 Millionen unter den 15- bis 24-Jährigen zum Ende des vorigen Jahres lässt bei der Ökonomin der Genfer UN-Behörde die Alarmglocken schrillen. "Die Auswirkungen der Krise waren heftig", meint Sara Elder von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).Die Genfer UN-Organisation hat gestern - ausgerechnet zum Beginn des von der Uno ausgerufenen "Internationalen Jahres der Jugend" - einen Bericht zur Arbeitsmarktsituation junger Menschen vorgelegt - mit ernüchternden Ergebnissen. "Die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen hat ihr bisher höchstes Niveau erreicht", schreibt die ILO in dem Jahresbericht, der auf Statistiken der Mitgliedstaaten beruht. Ende 2009 waren demnach weltweit 13 Prozent aller jungen Leute ohne Job - ein Zuwachs um 1,1 Prozentpunkte (7,8 Millionen) gegenüber 2007 - der größte jemals von der ILO gemessene Sprung nach oben. Die ILO befürchtet eine "verlorene Generation junger Leute, die aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und alle Hoffnungen verloren haben, einmal für einen anständigen Lebensunterhalt sorgen zu können". Im laufenden Jahr soll sich die Situation nochmals verschärfen. Die ILO-Ökonomen erwarten einen weiteren Anstieg der globalen Jugend-Arbeitslosenquote auf 13,1 Prozent. Erst 2011 sei mit einem leichten Rückgang auf 12,7 Prozent zu rechnen. "Viele junge Menschen haben jeden nur erdenklichen Teilzeit-Job angenommen, den sie finden konnten", berichtet Elder - und appelliert an die Regierungen, trotz Sparzwängen nicht die Axt an staatliche Förderprogramme zu legen. Ohne übertreiben zu wollen, warnt die ILO vor einem Szenario "sozialer Gefahren", die mit der Entmutigung frustrierter Jugendlicher verbunden sein könnten. In dem Bericht warnt die ILO: "Die Unfähigkeit, eine Beschäftigung zu finden, schafft unter jungen Menschen ein Gefühl von Unbrauchbarkeit und Stillstand, das zu erhöhter Kriminalität, Problemen mit psychischen Krankheiten, Gewalt, Konflikten und Drogenkonsum führen kann." Für die globale Ebene werden düstere Szenarien entworfen: "Die mangelnden Aussichten für junge Menschen, jemals für ein zumutbares Auskommen zu arbeiten, stellen eine reale Gefahr für die nationale Stabilität und sogar für Frieden, Sicherheit und Entwicklung auf der Welt dar."Die jungen Jobsuchenden in den Industrieländern kommen noch vergleichsweise glimpflich davon. In Deutschland etwa waren 2009 rund 40 Prozent mehr junge Leute arbeitslos als 2000. Im internationalen Vergleich blieb die Gesamt-Quote mit elf Prozent jedoch moderat. Weitaus schlimmer sei die Lage in den Entwicklungsländern, in denen 90 Prozent der betreffenden Altersgruppe leben, erklärt ILO-Analytiker Steven Kapsos: "Junge Leute haben dort gar keine andere Wahl, als zur Arbeit zu gehen. Sie leben aber oft in extremer Armut." Elder zufolge drohen entwicklungspolitische Rückschläge: "Es gibt die Gefahr, dass Fortschritte der Armutsbekämpfung abgewürgt werden." Das sieht auch ILO-Chef Juan Somavia so. Millionen junger Menschen seien in der Klasse der "arbeitenden Armen" gefangen - obwohl gerade sie Triebkräfte des Aufschwungs sein müssten. Auf ihr Potenzial zu verzichten, sei "Verschwendung und kann sozialen Frieden aushöhlen". Doch auch Europa, Nordamerika und Ostasien sind gebeutelt von dem Negativ-Trend. In der Gruppe der entwickelten Volkswirtschaften - dazu gehören auch die Staaten der Europäischen Union - lag die Jugend-Arbeitslosenquote mit 17,7 Prozent auf dem höchsten Niveau seit 1991, berichtet Elder - mit Rekordwerten von mehr als jedem fünften Jugendlichen in Spanien oder Estland. Sorgenvoll sagt sie: "Wir müssen aufpassen, dass diese Menschen nicht aufgeben."Deckt sich die Befürchtung der ILO-Studie, dass weltweit eine frustrierte und chancenlose Generation heranwachsen könnte, mit den Erkenntnissen der Wissenschaft?Vogelgesang: Die Befunde der aktuellen ILO-Studie zur Arbeitslosenquote Jugendlicher lassen sich nur dann sinnvoll interpretieren, wenn man die Gegebenheiten in ihren Herkunftsländern mit berücksichtigt. Diese beeinflussen ihre Berufs- und Zukunftschancen sehr viel stärker als die Wirtschafts- und Finanzkrise, die von den Verantwortlichen der Studie als Hauptursache für eine weltweit zunehmende Jugendarbeitslosigkeit angesehen wird. Sie würden nicht von einer "verlorenen Generation" sprechen?Vogelgesang: Solche Etikettierungen sind irreführend. Sie werden weder den unterschiedlichen Lebensverhältnissen Jugendlicher gerecht noch ihrem Zukunftsoptimismus. Junge Menschen glauben an sich, auch in Krisensituationen. Allerdings ist ihre Zukunft riskanter geworden, weil von ihnen angesichts zunehmender Individualisierungstendenzen in vielen Lebensbereichen schon sehr früh selbstständige Entscheidungen verlangt werden - und diese können sie bisweilen überfordern.Können Arbeitsmarktprobleme von Jugendlichen eine Gesellschaft destabilisieren?Vogelgesang: Wenn Arbeitslosigkeit zu einem Massenphänomen wird und gleichzeitig sozialstaatliche Absicherungen fehlen, wächst die Mobilisierungsbereitschaft, sich gegen diesen Zustand aufzulehnen. In den entwickelten Gesellschaften ist diese Gefahr nicht gegeben, sehr wohl aber in Ländern in Nordafrika oder dem Mittleren Osten. Auch wenn hierzulande ein entsprechendes Szenario sehr unrealistisch ist: Arbeitslosigkeit ist - gerade für Heranwachsende - eine gesellschaftliche Herausforderung, auf die mit gezielten Bildungs- und Beschäftigungsprogrammen reagiert werden muss. "Wir müssen aufpassen,dass diese Menschennicht aufgeben."Sara Elder, Expertin der Internationalen Arbeitsorganisation, über jugendliche Arbeitslose

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