Googles Blick in Nachbars GartenDie Abbilder der Welt: Street View ist nicht allein

Brüssel. Ein schrilles Piepsen reicht aus, und der Fahrgast ist registriert. Name, Alter, Adresse, Reiseziel. 460 000 Mal am Tag erfasst das Brüsseler Verkehrsunternehmen Stib die Reiserouten seiner Fahrgäste. Die Chips auf der Monatskarte funktionieren per Funk, der Inhaber kann jederzeit geortet werden. Und gesichtet

Brüssel. Ein schrilles Piepsen reicht aus, und der Fahrgast ist registriert. Name, Alter, Adresse, Reiseziel. 460 000 Mal am Tag erfasst das Brüsseler Verkehrsunternehmen Stib die Reiserouten seiner Fahrgäste. Die Chips auf der Monatskarte funktionieren per Funk, der Inhaber kann jederzeit geortet werden. Und gesichtet. Seitdem die belgische Regierung im November 2009 ein verschärftes Gesetz zur Videoüberwachung verabschiedet hat, hat Stib die Zahl der Kameras deutlich erhöht.Wer Anonymität sucht, ist in Brüssel fehl am Platz. Was für die Pendler in öffentlichen Verkehrsmitteln gilt, findet längst auch am Grande Place, in den Königsgärten oder am Atomium statt. Für den Online-Kartendienst Street View macht Google seit 2009 Fotoaufnahmen von Sehenswürdigkeiten, von Restaurants, von Geschäften oder Parks und schickt sie durchs digitale Netz. Zu sehen sind auch Spaziergänger.Der unabhängige Ausschuss für den Schutz des Privatlebens (ASP) ist eine der wenigen belgischen Initiativen, die den laxen Umgang mit der Privatsphäre anprangern. "Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht unsere personenbezogenen Daten offenlegen oder sie geprüft, ausgewählt und gespeichert werden", sagt der Präsident des Ausschusses, Willem Debeuckelaere. Der Ausschuss beobachtet genau, wie weit Google den Blick in die belgischen Wohnzimmer der Welt preisgibt.Paris gehörte zu den ersten europäischen Hauptstädten, in denen die dunklen Google-Autos mit Kamera auf dem Dach unterwegs waren. Rom und London folgten kurz darauf. Auch Spanien, die Niederlande, Italien, Ungarn oder Portugal haben kein Problem mit Googles Blick in Nachbars Garten. "Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts fürchten", heißt es aus dem Büro des spanischen Datenschutzbeauftragten. "Wer sich über Webcams der ganzen Welt zeigt und auf Facebook seinen Gemütszustand veröffentlicht, sollte keine Angst vor Street View haben", teilt das französische Büro mit. Doch von Einigkeit unter den europäischen Datenschützern kann keine Rede sein. Nur zwölf von 27 EU-Ländern haben Googles Kartendienst erlaubt. Den größten Widerstand gibt es in Österreich, Griechenland und Deutschland. Ob Street View zugelassen wird, bleibt jedem Staat selbst überlassen. Doch die Weitergabe der Bilder oder deren Verknüpfung mit persönlichen Angaben betrifft den Datenschutz und damit EU-Recht. Problematisch wird es vor allem, wenn einzelne Menschen zu erkennen sind. "Ich erwarte, dass Google sich an die Spielregeln hält", sagt EU-Justizkommissarin Viviane Reding. Googles Fotodienst ist nur ein Beispiel für Europas Weg zum gläsernen Kontinent. Der Datenschutzexperte und Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Jan Philipp Albrecht, hat keinen Zweifel daran, dass die Weitergabe von Daten EU-weit erleichtert wird. "Der Kampf gegen Terroristen, gegen Verbrechen und Flüchtlingsströme gehört zu den dringendsten Angelegenheiten im EU-Kommissariat für Justiz und Inneres", sagt Albrecht. Fingerabdrücke, Reiseprofile oder persönliche Daten von Schwerverbrechern oder Asylbewerbern sind bereits europaweit zugänglich. "Der Datenschutz bleibt auf der Strecke", sagt Albrecht. Die aktuelle EU-Richtlinie zum Datenschutz stammt aus dem Jahre 1995. Das Ringen um eine neue gemeinsame Vorgabe wird für die Staaten zur Zerreißprobe. Im Herbst will das EU-Parlament die Verhandlungen wieder aufnehmen. "Der Schutz des Privatlebens und die größtmögliche Sicherheit für die Bevölkerung sind kein Widerspruch", sagt der oberste Datenschutzbeauftragte der EU, Peter Hustinx.Berlin. Eine Fahrt über die Golden Gate Bride in San Francisco, ein Spaziergang durch Manhattan, und das alles ganz digital: Viele denken da gleich an Googles umstrittene Straßenansicht Street View. Doch auch andere Unternehmen arbeiten an einem digitalen Abbild der Welt, darunter Software-Riese Microsoft.Das Unternehmen ist Google in Sachen Internet meist hinterher - so auch bei den Straßenansichten. Während der Suchmaschinen-Gigant bereits 2007 Street View startete und mittlerweile Panorama-Bilder aus 23 Ländern anbietet, ist das Microsoft-Pendant Streetside bislang auf die USA beschränkt. Doch die Pläne des Windows-Herstellers sind ambitioniert. Schon heute bietet der Kartendienst Bing Maps einen Blick aus der Vogelperspektive. Alle deutschen Städte mit mehr als 50 000 Einwohnern sind von schräg oben zu besichtigen. Und mit Photosynth lassen sich Bilder von einem Ort zu 3D-Ansichten zusammenpuzzeln.Bislang gibt es nur Ansichten von viel fotografierten Sehenswürdigkeiten. Ein Blick auf die Freiheitsstatue in New York oder den Marienplatz in München zeigt aber, was möglich ist. Man wolle "wesentliche Teile der Welt rekonstruieren", erklärte Blaise Agüera y Arcas, der "Architekt" von Bing Maps. Das gilt sogar für die Innenräume von Geschäften oder öffentlichen Gebäuden. Dafür sind Mitarbeiter des Unternehmens mit Fotorucksack unterwegs.Die Photosynth-Kreationen setzen sich komplett aus Bildern der Nutzer zusammen. Und Google reichert die Straßenkarte Maps und den digitalen Globus Earth um Fotos von der Plattform Panoramio an, die der Konzern im Mai 2007 gekauft hat.Dies birgt Datenschutz-Probleme. IT-Journalist Marcus Schwarze von der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" spricht von einer "Light-Variante" von Street View, die durch die Hintertür eingeführt worden sei - ohne öffentliche Diskussion. Pixelung von Personen, ein Widerspruchsrecht für Hausbewohner ein transparentes Verfahren zur Entfernung von Bildern: "Fehlanzeige".Neben den IT-Größen aus Amerika mischen auch deutsche Unternehmen mit. Das Projekt Bilderbuch Köln etwa will alle Häuser der Rheinmetropole fotografieren, ins Netz stellen und so eine "virtuelle Navigation" durch die Stadt ermöglichen. Und die Firma Sightwalk bietet bebilderte Spaziergänge durch sieben deutsche Städte an.Bei allen Vorteilen für Touristen, Wohnungssuchende oder Stadtfremde bleibt aber die Frage: Wie lässt sich angesichts dieser Bilderflut die Privatsphäre der Bürger wahren? Der Ruf nach der Reform der Datenschutzgesetze wird laut. Der Bundesrat hat kürzlich einen Gesetzentwurf zur Regulierung von Diensten wie Street View verabschiedet.Auch der Datenschützer Moritz Karg hält eine Reform für sinnvoll - aber nicht in der Form, wie es die Länder vorgeschlagen haben. "Der Entwurf geht nicht das grundlegende Problem an", sagt der Jurist. "Wir fordern eine Reform der Datenschutzgesetze, die unabhängig von einzelnen Technologien und Diensten dem Recht des Einzelnen auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter gerecht wird." Street View sei nur die "Spitze des Eisbergs". dpa "Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht unsere personen-bezogenen Daten offenlegen."DatenschützerWillem Debeuckelaere

Auf einen BlickDie Bundesregierung will schon in der kommenden Woche über schärfere Gesetze im Umgang mit Internet-Diensten wie Google Street View entscheiden. "Es wird dazu eine abgestimmte Haltung innerhalb der Bundesregierung geben", ließ Innenminister Thomas de Maizière (CDU) mitteilen. Die Länder fordern eine gesetzliche Pflicht, dass Menschen und Autokennzeichen unkenntlich gemacht werden und dringen auf ein Widerspruchsrecht für Betroffene. Allerdings werden schärfere Regeln nicht mehr vor dem Start von Street View greifen können.Widersprüche gegen die Darstellung eines Gebäudes in Google Street View können per E-Mail an streetview-deutschland@google.com eingelegt werden. Es genügt auch ein Brief an "Google Germany GmbH, betr.: Street View, ABC-Straße 19, 20354 Hamburg". In dem Schreiben sollten Mieter oder Eigentümer angeben, inwieweit sie betroffen sind. Die Frist läuft bis zum 21. September. Bei der Verbraucherzentrale Saarland können kostenlose Musterbriefe für Widersprüche abgeholt werden. dpa/red

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