Gesichter des Engagements Der erbitterte Kampf für eine gesunde Umwelt

Düren/Berlin · Egal ob Hambacher Forst oder Deutsche Umwelthilfe: Der Kampf für die Natur und das Weltklima ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber wer steht im Zentrum der Bewegung?

  Seit Monaten wehren sich Aktivisten im Hambacher Forst gegen die Räumung der Baumhäuser und verhindern so die Rodung des Waldes.

Seit Monaten wehren sich Aktivisten im Hambacher Forst gegen die Räumung der Baumhäuser und verhindern so die Rodung des Waldes.

Foto: dpa/Christophe Gateau

(dpa) Die Demon­stranten rennen über die Autobahn, vorbei an Hundertschaften und Wasserwerfern der Polizei. Es geht einen steilen Hang hinunter. Zweitausend weiß gekleidete Menschen setzen sich dann, johlend wie ein Schwarm Möwen, auf die Gleise des Stromkonzerns RWE, die den Braunkohle-Tagebau Hambach in Nordrhein-Westfalen mit Kraftwerken verbinden. Die Kohle-Gegner verbringen dort eine kalte Oktobernacht 2018. Lara Eckstein ist eine von ihnen. „Dieses Gefühl, wenn wir da sind, können die Kohlezüge nicht mehr fahren, dann können die Bagger nicht mehr baggern“, sagt die 28-Jährige aus Berlin, um zu erklären, warum sie Urlaub nimmt für den Protest. „Ende Gelände“ nennen sich die Aktivisten, „Kohleausstieg jetzt“ lautet ihre Forderung. „Das Gefühl, weil wir da sind, steigt weniger CO2 an diesem Wochenende in die Luft.“

Déjà-vu einer Umweltbewegung: Im vergangenen Herbst sind im Rheinland wiederholt Bilder von Aktionen entstanden, die aus einer wilderen Zeit zu stammen scheinen: aus Jahrzehnten wütender Kämpfe um ein Atommüll-Lager im Wendland, im niedersächsischen Gorleben etwa und um die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in Bayern. Es wirkt wie ein Déjà-vu der Umweltbewegung, die in den Jahrzehnten des ausgehenden 20. Jahrhunderts das Image Deutschlands als Öko-Vorreiter mit prägte.

Die Namen Wackersdorf und Wyhl in Baden-Württemberg, wo ein Atomkraftwerk geplant war, stehen für Orte, wo Landesregierungen Bauprojekte nach langen Kämpfen zwischen Polizei und Demonstranten aufgaben, weil sie politisch verbrannt waren. Heute nun der Streit um die Rodung im Hambacher Forst und um die Kohle: Bis in die „New York Times“ schaffte es im Herbst die Räumung der Baumhäuser der Besetzer, die seit Jahren dort ausharrten. Zehntausende demonstrierten in den folgenden Monaten für Kohleausstieg und Klimaschutz. Parteipolitisch erlebten die Grünen 2018 in Umfragen einen Höhenflug.

„Ich glaube, da gärt gerade etwas“, sagt Frank Uekötter. Der Westfale, der im britischen Birmingham lehrt, ist 48 und Umwelthistoriker. Er fühle sich an die späten Siebziger, frühen Achtziger Jahre erinnert. Damals zogen Zehntausende durch die Straßen mit Transparenten wie „Erst stirbt der Wald, dann stirbt der Mensch“, weil Schwefeldioxid aus Abgasen zu saurem Regen wurde und Bäume schädigte. Die Sorgen erzeugten einen Druck in der Gesellschaft, der unter anderem die Grünen 1983 in den Bundestag einziehen ließ und Deutschland 1984 ein Gesetz für Auto-Katalysatoren brachte.

Die Ungehorsamen: Am Tag vor der Gleisbesetzung lehnt Lara Eckstein, braune Augen, rote Mütze, pragmatische Art, hinter einem Polizeigitter am Bahnhof Düren, wenige Kilometer vom Tagebau und dem Hambacher Forst entfernt. „Ich fände es ja auch schöner, wenn wir uns einfach zum Spaziergang treffen könnten“, sagt sie. Seit Stunden warten Hunderte eingezäunt auf dem Asphalt zwischen Parkplatz und Dönerbude. Zivilen Ungehorsam nennen es die Aktivisten, den Ansatz, aus moralischen Beweggründen auch Gesetze zu verletzen. Folge man immer nur den Anweisungen der Polizei, hätte man Bürgerrechte und Gleichberechtigung auch nicht erkämpft, argumentiert Eckstein. Jetzt geht es um Deutschland als Braunkohleförderer und um die Zerstörung des Klimas. „Wir haben hier einfach eine Verantwortung, etwas dagegen zu tun.“

Eckstein wurde in Bangladesch zur Aktivistin. Dort traf sie während eines Praktikums Dorfbewohner, denen der ansteigende Meeresspiegel die Felder versalzt. Neben ihrem Bürojob beteiligt sie sich an der Berliner Ortsgruppe von „Ende Gelände“.

Heute versteht sie sich als „Gerechtigkeitsaktivistin, aber deshalb eben auch als Klimaaktivistin“.

Die Kläger: Fragt man Jürgen Resch, ob er Teil einer Umweltbewegung ist, sagt er: „Ja, natürlich.“ Der 58-Jährige mit den weißen Haaren und der kantigen schwarzen Brille ist gerade zur Tür seines Büros in einem Berliner Altbau hereingeeilt. In weniger als einer Stunde muss er zum Flieger nach Stuttgart, am Tag da­rauf nach Mainz. Wie in Reschs Kalender taucht auch in den Schlagzeilen eine Stadt nach der nächsten auf: Orte, an denen Fahrverbote für Dieselautos drohen oder angekündigt werden, weil die Deutsche Umwelthilfe – kurz DUH – vor Gericht gezogen ist. Resch ist seit rund 30 Jahren Geschäftsführer des Vereins, der Kommunen verklagt, weil dort mehr Schadstoffe in der Luft gemessen werden, als erlaubt sind.

Seit im Raum steht, dass Hunderttausende Autobesitzer bald ganze Stadtteile und sogar Autobahnteile nicht mehr befahren können, wird die DUH scharf angegriffen. Das Geschäftsmodell und die Spender werden in Frage gestellt. Aber in vielen Jahren Luftreinheitsklagen – zu Feinstaub, zu Stickoxiden – urteilten Gerichte bis zur höchsten Instanz: Der Verein hat angesichts der Gesetze und Obergrenzen Recht.

„Das wäre nicht unser Modell, in jeder Stadt zu klagen“, sagt Olaf Tschimpke, Präsident des Naturschutzbundes Deutschlands. Der Nabu ist in mancher Hinsicht ein Gegenentwurf zur DUH: 1899 als Bund für Vogelschutz gegründet, über 600 000 Mitglieder, lange unpolitisch verglichen mit BUND. Aber Klagen gibt es dennoch. Insgesamt reichten deutsche Umwelt- und Naturschutzverbände im Schnitt 35 Verbandsklagen pro Jahr zwischen 2013 und 2016 ein, für den Schutz von Sumpfpflanzen beim Straßenbau etwa und gegen die Auswirkungen von Kraftwerken. Jedes zweite Verfahren endete ganz oder teilweise erfolgreich.

Die Gesellschaft: Geht man auf die Suche nach dem, was die Gesellschaft denkt, kann man auch beim Umweltbundesamt nachhören. Alle zwei Jahre stellen Forscher im Auftrag der Behörde die offene Frage, was die zwei wichtigsten Probleme Deutschlands sind. 2016 antwortete jeder Fünfte mit Umwelt- oder Klimaschutz, nur Zuwanderung und Sicherheit wurden öfter genannt. 2012, nach dem Atomdesaster von Fukushima, war es jeder Dritte, der sich Sorgen machte. „Eigentlich sind es immer Katastrophen und Skandale, die da wirken“, sagt der 63-jährige Nabu-Chef Tschimpke. „Es gibt Wellen und zwischendrin wieder Jahre, wo es wieder abebbt.“

2015 beherrschte der Dieselskandal die Schlagzeilen, 2016 der Streit um das Unkrautmittel Glyphosat und 2018 der Klimawandel. Dennoch: Aus Nabu-Sicht gab es 2018 bei den „Riesenproblemen“ keinen Fortschritt – trotz Klagen. Für die Bewegung hat das Vorteile: „Wir haben eine besondere Aufmerksamkeit dieses Jahr, weil die Politik diese Themen nicht angeht und die Ziele verfehlt. Die Menschen spüren, dass es so nicht weiter funktionieren kann“, sagt Tschimpke. Die Mitgliederzahlen der beiden größten Umweltvereine, Nabu und BUND, wuchsen zuletzt um mehrere Zehntausend pro Jahr – auf über eine Million kamen sie zusammen 2017, eine Viertelmillion Förderer und Spender dazu. 2000 Ortsgruppen zählt jeder der beiden. „Ich glaube, Umwelt als eine soziale Bewegung ist längst auch ein Lebensgefühl, eine Art, sich zu ernähren und mit anderen Menschen umzugehen. Verständnisvoller, sanfter, solidarischer“, sagt Uekötter.

Die Öko-Unternehmerin: Milena Glimbovski hat eine Theorie: Der wiederverwendbare Kaffeebecher ist die Keimzelle der Revolution. „Es fängt an mit einer Bambus-Zahnbürste und endet damit, dass man Forderungen stellt“, sagt die energische 28-Jährige. Der Berliner Senat kürte sie Ende 2018 zur Unternehmerin des Jahres. In ihrem kleinen Kreuzberger Lebensmittelladen können Kunden unverpackte Nudeln, Mehl oder Olivenöl in eigene Gläser und Kunststoff-Boxen abfüllen.

Glimbovski steht für die Zero-Waste-Bewegung: Menschen, die Müll so gut wie möglich vermeiden, aus Sorge um Plastik im Meer, um Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß. Beim Start ihres Ladens 2014 musste sie noch erklären, warum Verpackungsmüll ein Problem ist. Heute gibt es in Deutschland 80 Geschäfte nach dem Vorbild von „Original Unverpackt“, dazu Nachahmer weltweit.

Manche Stimmen in der breit gefächerten Umweltbewegung in Deutschland sehen im „grünen“ Konsum wie in Glimbovskis Laden nur eine Scheinlösung, die Leute im wohligen Glauben wiege, sie hätten das Nötige getan. Glimbovski sieht darin allerdings den Anfang, sich für den Umweltschutz zu engagieren. „Man fängt Schritt für Schritt an, die Nachhaltigkeit von allem, was wir konsumieren, in Frage zu stellen. Dann merkt man, es reicht nicht, und man muss etwas tun. Da wird es politisch.“

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