Brexit-Abkommen Das Chaos geht weiter im britischen Parlament

London · Nächste Woche stimmt das Unterhaus über das Brexit-Abkommen ab, doch von einer Mehrheit ist Premierministerin Theresa May weit entfernt.

 Premierminister Theresa May tut alles, um die britischen Abgeordneten vom Brexit Abkommen zu überzeugen – bislang wenig erfolgreich.

Premierminister Theresa May tut alles, um die britischen Abgeordneten vom Brexit Abkommen zu überzeugen – bislang wenig erfolgreich.

Foto: AP/Mark Duffy

Als das Parlament gerade in einem kollektiven Nervenzusammenbruch zu versinken drohte und beinahe tumultartige Szenen im altehrwürdigen Westminster-Palast ausbrachen, meldete sich die Abgeordnete Heidi Allen zu Wort. Man solle sich einmal in die Position der Öffentlichkeit versetzen. Das Volk betrachte das derzeitige Verhalten der Parlamentarier als realitätsfremd, befand die Konservative am Mittwoch in englischem Understatement. „Wann beginnen wir wie Staatsdiener zu agieren?“

Die Frage durfte angesichts der politischen Krise in Großbritannien durchaus erlaubt sein, nachdem der erste Tag der Debatte um den Brexit-Deal im neuen Jahr noch chaotischer verlaufen war als der letzte Sitzungstag im Dezember 2018. Die Gemüter im in der Europa-Frage tief gespaltenen Unterhaus hatten sich über die Feiertage keineswegs beruhigt. Und an den Fakten hatte sich ohnehin nichts geändert, nachdem Premierministerin Theresa May mit dem Versuch gescheitert war, bei der EU weitere Zugeständnisse zu erreichen.

Am 29. März tritt das Königreich aus der EU aus. Und noch immer ist May weit davon entfernt, ihr mit Brüssel ausgehandeltes Abkommen durch das Parlament zu bekommen. Insbesondere der sogenannte Backstop, der als Notfalllösung eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und der zum Königreich gehörenden Provinz Nordirland verhindern soll, ist umstritten. Im Dezember hatte May eine Abstimmung aus Sorge vor einer Schlappe kurzfristig abgesagt, nächste Woche wird der Plan nun endlich den Abgeordneten vorgelegt. „Wir glauben weiterhin daran, dass dieses Abkommen dem Ergebnis des Referendums entspricht und das Beste für unsere Wirtschaft, unsere Bürger und unsere Sicherheit ist“, sagte Brexit-Minister Stephen Barclay.

Das nur sehen die meisten seiner Kollegen, ob in den eigenen konservativen Reihen oder in der oppositionellen Labour-Partei, ganz anders. May droht eine krachende Niederlage. Einige Pro-EUler fordern vielmehr ein zweites Referendum, die Hardliner dagegen wünschen einen Brexit ohne Austrittsvertrag, was wiederum der Großteil der Wirtschaft als Katastrophe betrachten und auch moderate EU-Skeptiker ablehnen. Keine der drei Optionen, die derzeit auf dem Tisch liegen, genießt eine Mehrheit. Die Briten, sie stecken in einer Sackgasse. Und bislang fehlt ein Plan B. Mit solch einem muss Theresa May aber nun innerhalb von drei Sitzungstagen aufwarten, sollte die Regierungschefin die Abstimmung am Dienstag verlieren. Der proeuropäische Tory-Abgeordnete Dominic Grieve hatte einen entsprechenden Antrag gestellt, der dann zum großen Ärger der Unterstützer eines ungeregelten Brexit von einer Mehrheit abgesegnet wurde. May kann nun nicht mehr auf Zeit spielen, sondern muss eine Alternative präsentieren, wie es weitergehen soll.

„Alles ist möglich und niemand weiß, was in den nächsten Wochen passieren wird“, ist derzeit der meistgehörte Satz in Westminster. Denn auch die Führung der Opposition hüllt sich in Schweigen, wie sie sich den Brexit genau vorstellt. Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigte an, dass die Sozialdemokraten am Dienstag gegen den Deal stimmen werden. Er spekuliert vielmehr auf Neuwahlen, wie er gestern bei einer Rede im nordenglischen Wakefield betonte. Diese seien „die demokratischste Option, die Blockade im Parlament“ zu lösen und hätten Vorrang vor einem zweiten Referendum, so der lebenslange EU-Skeptiker. Aber was dann? Man würde einen neuen Brexit-Deal mit der EU verhandeln, sollte Labour eine vorgezogene Parlamentswahl gewinnen, sagte Corbyn. Details verriet er nicht. Kritiker bemängeln, der Oppositionschef ignoriere mit seiner Strategie jüngste Umfragen, nach denen die Parteibasis mehrheitlich eine erneute Volksabstimmung fordert.

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