Am 9. November 1989 fällt die Mauer – Der Anfang vom Ende der DDR

Wer an jenem Donnerstagabend vor 25 Jahren in Berlin dabei ist, erlebt Weltgeschichte. Walter Momper ist als Regierender Bürgermeister mittendrin. Mit Abstand betrachtet, grenzt es an ein Wunder, dass damals in der aufgeladenen Atmosphäre kein einziger Schuss fiel.

Es ist einer dieser Abende, an die man sich zeit seines Lebens erinnert. Egal, wo man war. Egon Krenz war im Zentralkomitee der SED. Angela Merkel in der Sauna . Und Helmut Kohl an einem völlig falschen Ort. Welche historische Tragweite dieser 9. November 1989 aber tatsächlich hat, das dringt erst allmählich ins Bewusstsein. Nachrichtlich nüchtern titelt die Saarbrücker Zeitung einen Tag später "DDR öffnet Grenze zur Bundesrepublik - Ausreise und Besuche ab sofort möglich". Und doch erlebt, wer an jenem Donnerstagabend in Berlin dabei ist, Weltgeschichte .

Angela Merkel ist damals 35, Physikerin und wie jeden Donnerstag in der Sauna . Als sie herauskommt, ist der Zug gen Westen bereits in Gang. Mit vielen Tausend anderen Ost-Berlinern marschiert die heutige Kanzlerin über die Bornholmer Brücke hinüber in den Wedding. In irgendeiner Wohnung bekommt sie ihr erstes West-Bier. "Ich weiß noch, so ein Büchsenbier - das war mir sonst nicht so vertraut." Gegen halb zwei geht sie ins Bett.

Mit dem amtierenden Kanzler meint es das Schicksal nicht so gut. Helmut Kohl ist gerade zum ersten Mal offiziell in Polen - ein heikler Besuch, bei dem man sich nicht einfach frühzeitig verabschieden kann. Als sich die Informationen bestätigen, sitzt er in Warschau gerade beim Staatsbankett. Allen ist klar, dass man nun besser in Berlin sein sollte.

Nur sind die Zeiten nicht so, dass ein westdeutscher Regierungschef in seine Luftwaffen-Maschine steigen und über DDR-Gebiet dorthin fliegen kann. Kohl muss warten. Erst am nächsten Tag geht es über Schweden nach Hamburg, dort in eine US-Militärmaschine und dann nach Tempelhof. Die Stimmung zwischen Hoffen und Bangen. Noch weiß niemand, ob das alles gut ausgeht.

Auch mit einem Vierteljahrhundert Abstand betrachtet, grenzt es an ein Wunder, dass damals, auf dem Höhepunkt des Wendejahres 1989, in der aufgeladenen Atmosphäre, nach Massenfluchten von DDR-Bürgern über die bundesdeutschen Botschaften in Prag , Warschau und Budapest, nach Montagsdemonstrationen in Leipzig und nach dem Sturz des DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker , kein einziger Schuss fiel.

Die Grenzöffnung verkündet das SED-Politbüromitglied Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz kurz vor 19 Uhr, fast beiläufig. "Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort... unverzüglich", stammelt er in die laufenden Kameras. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. In der "Tagesschau" ist es die erste Meldung.

Immer mehr Menschen strömen zu den Grenzübergängen. An der Bornholmer Straße, zwischen Prenzlauer Berg und Wedding, ist der Andrang am größten. Die Leute wollen "rüber", lassen sich nicht mehr verscheuchen. Die Grenzsoldaten sind ratlos. Befehle von oben gibt es nicht. Stasi-Oberstleutnant Harald Jäger, Diensthabender Leiter, telefoniert hin und her. Doch das hilft nicht. Schließlich entscheidet er selbst: Schlagbaum hoch.

Dabei sei laut Krenz der Plan eigentlich ein anderer gewesen. Am Morgen des 10. November wäre demnach eine neue DDR-Reiseverordnung in Kraft getreten. "Dazu sollte eine vorbereitete Meldung der Nachrichtenagentur ADN um 4 Uhr gesendet werden. Zu dem Zeitpunkt hätten die Grenzsoldaten auch den Befehl gehabt, die Grenzübergänge zu öffnen." Doch Schabowski war ihm zuvorgekommen. Berlin wurde binnen weniger Stunden zur Stadt im Ausnahmezustand, auf Wochen hinaus. Die Bilder, wie auf der Mauer wild getanzt wird und die DDR-Grenzschützer zusehen, gingen um die Welt.

Aus den vereinzelten Ausreisen über Ungarn und die damalige Tschechoslowakei war über Nacht eine Massenflucht geworden. Schon am 13. November drängten sich 1050 Flüchtlinge in den eilends eingerichteten Notunterkünften im Saarland. Freundlich begrüßt als "unsere Brüder und Schwestern aus der DDR " und begleitet von einem Spendenaufruf der SZ für die Neuankömmlinge.

Es war das persönliche Empfinden, das abseits der großen Diplomatie diese Tage dominierte. Die Grenzen waren auf, die Bürger der DDR frei. Doch was mit diesen zwei Staaten geschehen sollte, das schien in weiter Ferne. Als einer der Ersten träumte der damalige SZ-Chefredakteur Rudolph Bernhard schon den Traum eines geeinten Deutschlands. "Vor uns die Wiedervereinigung ?", fragte er zaghaft in seinem Leitartikel zwei Tage nach dem Fall der Mauer. Dass dieser 9. November sich aber für immer im Gedächtnis der Deutschen einbrennen sollte, stand für ihn fest: "Der Tag des Ausbruchs einer Revolution wird später oft ein Gedenktag." Er sollte mit beidem Recht behalten.

Und was ist vom großen Glücksgefühl geblieben? Man hat sich aneinander gewöhnt seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die keine elf Monate, nachdem die Mauer weg war, vollzogen wurde. Bundespräsident Joachim Gauck - wie auch die Kanzlerin aus dem Osten - meinte kürzlich, bei vielen Ostdeutschen habe es Zeiten gegeben, in denen die Enttäuschung über veränderte Lebenswege oder unterbrochene Karrieren sowie die Mängel der Demokratie die Freude über die neue Freiheit verdrängt hätten. Doch nun bewerte die "überwältigende Mehrheit" die Wiedervereinigung positiv. "Die Nation wächst zusammen. Die Einheit gelingt."

Inzwischen ist aber auch eine Generation erwachsen, die den Mauerfall nicht selbst erlebt hat. Auf Klassenfahrten in Berlin verzweifeln Lehrer immer wieder daran, wie wenig ihre Schüler von den Mauer-Jahren wissen. Die eigene Vergangenheit gerät ins Vergessen, klagt der Direktor der Mauer-Stiftung, Axel Klausmeier: "Für viele ist die deutsche Teilungsgeschichte doch so weit weg wie Pompeji."

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