Drachentöter mischt den Bundestag auf

Berlin · Vor 38 Jahren wurde Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert. Vor 25 Jahren fiel die Mauer. Ein entspanntes Verhältnis zur Linken hat der Liedermacher immer noch nicht. Eine Einladung in den Bundestag nutzte er zur Provokation.

Wer Wolf Biermann einlädt, kriegt Wolf Biermann - den schärfsten SED-Hasser und derzeit wildesten Nonkonformisten der Alterskohorte über 70. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU ) merkte bei der Gedenkfeier zum 25. Jahrestag des Mauerfalls ziemlich schnell, dass sein einsamer Beschluss, den 1976 zwangsweise ausgebürgerten DDR-Bürgerrechtler für ein Lied ins Parlament einzuladen, nicht unbedingt klug war.

Biermann hält nämlich wenig auf, ganz sicher nicht die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages. Auf die versuchte sich Lammert zu berufen, als der Sänger nach kurzem Vorspiel die Gitarre weglegte und damit begann, die vor ihm sitzenden Abgeordneten der Linkspartei zu beschimpfen. Wenn Biermann für den Bundestag kandidiere, sagte der Parlamentspräsident, dann dürfe er hier auch reden. Jetzt aber sei er zum Singen da. "Das Reden", antwortete Biermann, "habe ich mir in der DDR nicht abgewöhnt und werde das hier schon gar nicht tun." Und machte genüsslich weiter.

Biermann sagte, eigentlich müsse er den Linken "ein paar Ohrfeigen verpassen", aber das könne er nicht. "Mein Beruf ist Drachentöter" und das hier sei bloß der klägliche Rest der "Drachenbrut". Ein wenig seltsam wirkte das schon. Nur noch 17 der 64 Links-Abgeordneten waren schon als SED-ler dabei und etliche kommen aus dem Westen. Aber Biermann ist in Sachen Linke alles andere als ein Versöhner. "Reaktionär" war noch das mildeste Wort, das er fand. Lammert stand zwischenzeitlich wohl vor der Frage, ob er dem Mann das Wort entziehen und ihn aus dem Saal tragen lassen müsse, was unweigerlich als größter Eklat in die Geschichte aller Gedenkveranstaltungen eingegangen wäre, doch in letzter Minute lenkte Biermann ein. "Ihr seid dazu verurteilt, das jetzt anzuhören", rief er den Linken noch schnell zu, ehe er sein Lied "Ermutigung" zum Besten gab: "Du, lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit."

Lammert hatte den Auftritt mit niemandem abgesprochen, sondern die Fraktionen lediglich informiert. Im Ältestenrat wird es wohl ein Nachspiel geben. Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte der SZ, er sei sich "nicht sicher, ob man immer die alten Schlachten auf diese Weise austragen muss". In der Union hingegen fand man den Auftritt erfrischend. Endlich mal einer, der freiweg rede, meinte etwa Michael Brand (CDU ). Links-Fraktionschef Gregor Gysi ignorierte Biermanns Provokationen und las stattdessen seine Rede vor.

Insgesamt war es eine nicht unbedingt würdige, wohl aber denkwürdige Jubiläumsfeier, die mit der Nationalhymne endete. Wie die Sitzung am 9. November 1989. Nur irgendwie doch anders.

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