Moskau holt erneut zum Schlag gegen Chodorkowski aus

Moskau · Es ist schon der dritte Prozess, der dem ehemaligen Öl-Magnaten Michail Chodorkowski in Russland droht. Diesmal wird dem im Exil lebenden Kremlkritiker Auftragsmord zur Last gelegt.

Ganz unvorbereitet dürfte die Nachricht aus Russland Michail Chodorkowski nicht mehr getroffen haben. Gestern erließ ein Moskauer Gericht Haftbefehl gegen den früheren Öl-Magnaten. Außerdem wurde der im Londoner Exil lebende Chodorkowski international zur Fahndung ausgeschrieben. Bereits vor zwei Wochen hatte sich eine neue Runde im Fall Chodorkowski angekündigt. Die russischen Ermittler leiteten ein neues, drittes Verfahren gegen den früheren Eigentümer des Yukos-Öl-Konzerns ein. Demnach sei der 52-Jährige in den 90er Jahren an zwei Morden und vier Mordversuchen beteiligt gewesen.

Chodorkowski war 2003 festgenommen worden. 2005 wurde er wegen Betrugs und Geldwäscherei zu Lagerhaft verurteilt. In einem zweiten Prozess 2010 folgte eine dubiose Anklage wegen Öl-Diebstahls. Nach einem fragwürdigen Verfahren wurde der Magnat zu einer weiteren Haftstrafe bis 2014 verurteilt. Im Dezember 2013 am Vorabend der Olympischen Winterspiele in Sotschi begnadigte ihn Präsident Wladimir Putin überraschend. Chodorkowski soll sich verpflichtet haben, Russland zu verlassen und sich aus der Politik herauszuhalten. Vorübergehend zumindest. Chodorkowski hegte damals eigene politische Ambitionen und unterstützte die Opposition. Auch das war einer der Gründe, warum der Kreml ihn mit alttestamentarischer Härte verfolgte.

Der Vorladung zur Vernehmung im neuen Verfahren folgte Chodorkowski nicht. Im Mittelpunkt der Anklage steht der Mord an Wladimir Petuchow, dem Bürgermeister des sibirischen Neftejugansk, das die größte Förderstätte des Yukos-Konzerns beherbergte. Petuchow hatte Chodorkowski wegen Steuerunterschlagung verklagt. 2007 wurde ein ehemaliger Sicherheitschef des Yukos-Konzerns wegen Anstiftung zum Mord zu lebenslanger Haft verurteilt. Laut Ermittlungsbehörde sollen nun ganz neue Erkenntnisse vorliegen, die auf Chodorkowski als Auftraggeber deuten.

Vor zwei Wochen wies Chodorkowski die Anschuldigungen als Farce und Fälschung zurück. Beobachter fragen: Warum wurde ihm der Mord nicht vorher zur Last gelegt? Warum jetzt? Wieso wurde er trotz Mordverdacht begnadigt? Der Pressesprecher des Kreml behauptet, Präsident Putin hätte zum Zeitpunkt der Begnadigung nichts von der Verstrickung des Magnaten gewusst. Allerdings hatte Putin bereits 2010 im Fernsehen von "blutigen Händen" des Oligarchen gesprochen.

Am Dienstag wurden nun die Räume der von Chodorkowski gegründeten Stiftung Open Russia durchsucht. "Nur Kopier- und Toilettenpapier" hätten die Fahnder im Büro zurückgelassen, sagten Mitarbeiter. Die Durchsuchung steht laut Ermittlungskomitee im Zusammenhang mit einem Fall von 2003. Es geht um eine umstrittene Privatisierung des Düngemittelunternehmens Apatit, an der Chodorkowski beteiligt gewesen sein soll. Tatsächlich dürfte die Razzia mit der aufklärerischen Tätigkeit der Stiftung verbunden sein. Sie ist eine Plattform für oppositionelle Kräfte.

Womöglich steht Chodorkowski noch eine Klage ins Haus. In London sprach er von der Unausweichlichkeit einer Revolution in Russland. In Moskau fällt dies bereits unter den Verdacht des Extremismus.

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