Gendefekt kann Diabetes auslösen

Duisburg/Essen. Bisher galt Diabetes als eine klassische Zivilisationskrankheit. Doch nicht nur Völlerei und Bewegungsarmut steigern das Risiko. Immer deutlicher wird mittlerweile, dass auch bestimmte Gene den Blutzucker entgleisen lassen können. Das wichtigste unter ihnen könnte sogar für jeden fünften Fall von Typ-2-Diabetes verantwortlich sein

Duisburg/Essen. Bisher galt Diabetes als eine klassische Zivilisationskrankheit. Doch nicht nur Völlerei und Bewegungsarmut steigern das Risiko. Immer deutlicher wird mittlerweile, dass auch bestimmte Gene den Blutzucker entgleisen lassen können. Das wichtigste unter ihnen könnte sogar für jeden fünften Fall von Typ-2-Diabetes verantwortlich sein. Mehr als 90 Prozent aller Patienten sind vom Typ 2 der Zuckerkrankheit betroffen. Er wurde früher auch als Altersdiabetes bezeichnet. Die Körperzellen reagieren im Verlauf der Krankheit immer schlechter auf Insulin. Dieses Hormon wirkt normalerweise wie ein Türöffner, der den Übergang des Energieträgers Glukose aus dem Blut beispielsweise in Muskelzellen erleichtert. Ist dieser Prozess gestört, bleibt der Blutzuckerspiegel erhöht.Risiko steigt um 45 ProzentLangfristig schädigt diese Störung die Gefäße, das Risiko für Herzinfarkte, Nierenerkrankungen, Nerven- und Netzhautschäden steigt. Die Bauchspeicheldrüse versucht, den erhöhten Zuckerspiegel im Blut zunächst mit einer gesteigerten Insulinausschüttung auszugleichen. Später kommt die Hormonproduktion wegen der dauernden Überlastung des Organs zum Stillstand. Spätestens jetzt müssen die Patienten Insulin spritzen. "Die Erkrankung lässt sich zu 50 bis 70 Prozent auf genetische Risiken zurückführen", erklärt Anke Hinney, Molekularbiologin an der Universität Duisburg-Essen. Allerdings, so betont die Wissenschaftlerin, erkrankt nicht jeder Mensch, dessen Risiko erhöht ist, tatsächlich an Diabetes. Ob die Krankheit, die in den Genen angelegt ist, tatsächlich eines Tages ausbricht, darüber würden zum großen Teil Lebensstilfaktoren wie Übergewicht oder mangelnde Bewegung entscheiden. Das Gen mit dem derzeit stärksten bekannten Einfluss auf die Diabetes-Entstehung, die Abkürzung lautet TCF7L2, wurde vor fast drei Jahren von einem internationalen Forscherteam entdeckt. An seiner Entschlüsselung war auch die Arbeitsgruppe um Anke Hinney beteiligt. TCF7L2 wirkt als sogenannter Transkriptionsfaktor, es aktiviert im Zellkern andere Gene - unter anderem solche, die das Sättigungsgefühl, den Appetit, aber auch die Insulinproduktion regeln. Eine Variante des Gens (HapB) erhöht das Diabetesrisiko um 45 Prozent gegenüber der Allgemeinbevölkerung. Wenn HapB von beiden Elternteilen geerbt wurde, verdoppelt sich damit auch die Diabetesgefahr. Und diese Risiko-Variante ist bei uns offenbar alles andere als selten: 38 Prozent der Westeuropäer tragen zumindest eine Kopie in ihrem Erbgut, sieben Prozent sogar zwei. Wie das Gen der Zuckerkrankheit genau Vorschub leistet, ist wissenschaftlich noch nicht erforscht. Überhaupt scheinen die Zusammenhänge im Körper komplexer zu sein als bisher angenommen. Anke Hinney: "Personen mit der HapB-Variante sind eher dünn und schlank. Eine zweite Variante des Gens begünstigt dagegen Übergewicht, hat aber kaum Einfluss auf das Diabetesrisiko." Erwartet hatten die Forscher eigentlich genau das Gegenteil. Denn zu viel Speck auf den Rippen gilt als einer der Hauptauslöser der Krankheit. Erster GentestTrotz dieser Unklarheiten hat die isländische Firma deCode Genetics, die auch maßgeblich an der Entschlüsselung des Gens beteiligt war, bereits einen ersten Gentest herausgebracht. Für 300 Dollar können sich Gesundheitsfanatiker auf die Hap-B-Variante und andere Diabetes-Gene checken lassen. Das Argument der Firma: Wer um sein hohes Risiko weiß, kann dann mit einer gezielten Ernährung, Sport oder Medikamenten den Ausbruch der Krankheit zumindest verzögern.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort