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Berlin. Man muss ja nicht gleich den Sieg des Buches über das Internet ausrufen - aber ein bescheiden-leises Triumphgefühl sei den Liebhabern des gedruckten Wortes an dieser Stelle erlaubt. Warum? Wikipedia, das Online-Lexikon Nummer eins, erscheint in Buchform
Berlin. Man muss ja nicht gleich den Sieg des Buches über das Internet ausrufen - aber ein bescheiden-leises Triumphgefühl sei den Liebhabern des gedruckten Wortes an dieser Stelle erlaubt. Warum? Wikipedia, das Online-Lexikon Nummer eins, erscheint in Buchform. Das Bertelsmann Lexikon Institut hat mehr als 50000 Stichwörter aus der beständig wachsenden Enzyklopädie des Volkes herausgesucht, sie redaktionell geprüft, auf knapp tausend Seiten geordnet und bunt bebildert. Morgen wird das neue Nachschlagewerk auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt. Bei ihrer Auswahl sind die Verlagsleute streng demokratisch vorgegangen - beinahe so, wie es dem Original-Wikipedia entspricht: Das Buch-Lexikon enthält diejenigen 50000 Stichwörter, die von 2007 bis 2008 von den Nutzern am häufigsten aufgerufen wurden.
Zustande gekommen ist dadurch ein wahrhaft kurioses Kompendium. In diesem finden sich neben Klassikern wie "Deutschland" auch Einträge zu Promis und Halbpromis wie über den Laufstegtrainer Bruce Darnell, die britische Skandalsängerin Amy Winehouse und den verstorbenen australischen Schauspieler Heath Ledger, aber auch Erläuterungen zur Fernsehkuppelshow "Bauer sucht Frau", zu Hape Kerkelings Pilgerbuch "Ich bin dann mal weg" oder zur Spielkonsole Wii. "Viele Stichwörter der Wikipedia würden in einem klassischen Lexikon keinen Platz finden", erklärt Verlagsleiterin Beate Varnhorn. "Wir fanden es reizvoll, diese Andersartigkeit für ein Printlexikon zu übersetzen." Das Ergebnis sei ein lexikalisches Jahrbuch, das nicht nur den Zeitgeist widerspiegele, sondern auch Antworten gebe "auf Fragen, die klassische Lexika nicht beantworten".
Mehr als 90000 Wikipedia-Autoren haben das Wissen des ersten Wikipedia-Buchbandes zusammengetragen. Ihre Namen sind in einem 30-seitigen Anhang aufgelistet. Die Redaktion habe alle Artikel inhaltlich überprüft und bewusst nur sehr behutsam in die Texte eingegriffen, betont der Verlag. "Artikel wurden nur verändert, wenn die Relevanz des Themas nicht erkennbar war, inhaltliche Lücken oder eindeutige Fehler auftraten", erklärt Varnhorn. Die Texte wurden dabei zudem stark gekürzt; in der Druckversion sind die Beiträge auf die ersten Zeilen reduziert.
Der Buchwissenschaftler Ernst Fischer von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, der erst kürzlich ein Hauptseminar über Wikipedia gehalten hat, ist deshalb auch nicht sonderlich beeindruckt von dem Buchprojekt. "Im Rahmen der Wikipedia-Geschichte ist dieses Lexikon ein eher unbedeutendes Ereignis", sagt er. Das Internet-Projekt mit seinen mittlerweile mehr als 800000 deutschsprachigen Einträgen sei der Buchform längst entwachsen. "Wikipedia lebt ja von der Fülle des Materials, das zum Teil auch in Bildern und Tabellen verbreitet wird." Das Auswahlverfahren für die Printform ergebe dagegen kein Abbild des Wikipedia-Wissens, sondern lediglich des Nutzer-Interesses. "Das ist ganz gut für Soziologen, aber keine Visitenkarte für Wikipedia."
Verlagsleiterin Varnhorn sieht das naturgemäß anders. Nicht nur Internet-Nutzer seien potenzielle Käufer der Buchausgabe, sondern auch solche Verbraucher, "die die Wikipedia auch im Wohnzimmer beim Fernsehen" dabei haben wollten und überhaupt immer dann, wenn sie nicht online seien, hofft sie. Und vielleicht seien so über die Marke Wikipedia ja auch Kunden für den Buchhandel zurückzugewinnen, die eigentlich schon als verloren galten. Denn Buch und Internet schlössen sich ja nicht aus, sondern ergänzten einander. Darin ist sie sich mit dem Uniprofessor Fischer einig. "Als Buchwissenschaftler freut es mich natürlich, wenn man immer wieder auf das Printmedium Buch zurückkommt", sagt der Wikipedia-Fan. Im Bereich der Enzyklopädien habe sich das digitale Medium zwar durchgesetzt. Dennoch zeige der Einsatz der Buchform, "dass man die Qualitäten dieses Mediums wahrnimmt - über alle digitalen Innovationsaufregungen hinweg". "Viele Stichwörter der Wikipedia würden in einem klassischen Lexikon keinen Platz finden."
Beate Varnhorn, Leiterin des Bertelsmann Lexikon Institut