Anti-Corona-Demonstration in Berlin Der Reichstag soll so was nicht noch mal erleben

Berlin · Die Vorfälle am Parlament haben eine Debatte über eine Bannmeile ausgelöst. Bundespräsident Steinmeier nannte die Eskalation der Proteste „unerträglich.“

 Mehrere Hundert Demonstranten haben am Samstag eine Absperrung am Reichstagsgebäude in Berlin durchbrochen. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, 33 Polizisten wurden verletzt.

Mehrere Hundert Demonstranten haben am Samstag eine Absperrung am Reichstagsgebäude in Berlin durchbrochen. Dabei kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, 33 Polizisten wurden verletzt.

Foto: dpa/Fabian Sommer

Es ist der Tag der Auf­arbeitung in Berlin. Nach dem sogenannten „Sturm auf den Reichstag“ am Sonntag durch Rechtsextreme und Corona-Leugner wurde in der Hauptstadt intensiv über die Konsequenzen debattiert. Eine Verschärfung der bisher sehr liberalen Demonstrationsregeln im Regierungsviertel wäre möglich.

Am kommenden Donnerstag tritt der Ältestenrat des Bundestages auf Antrag von Union und SPD zu einer Sondersitzung zusammen. Die Meinungen da­rüber, wie künftig mit Demonstrationen im Regierungsviertel umgegangen werden soll, gingen weit auseinander, teilweise sogar innerhalb einer Partei. So schlug Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor, auch in Berlin eine strikte Bannmeilen-Regelung mit einem Totalverbot einzuführen. Sein Partei­freund Stephan Mayer, Staatssekretär im Innenministerium, sah dafür keine Notwendigkeit. Es sei ein Markenzeichen der parlamentarischen Demokratie, dass sie transparent und erfahrbar sei. Ähnlich äußerte sich die Grünen-Politikerin Claudia Roth, Vizepräsidentin des Bundestages. „Wir sind kein Hochsicherheitstrakt“, sagte sie.

Während in der alten Hauptstadt Bonn noch ein Bannmeilengesetz gegolten hatte, dass Demonstrationen im Regierungsviertel grundsätzlich untersagte, wählte man in Berlin mit dem Umzug 1999 eine liberalere Regelung. Das Gebiet ist als „befriedeter Bezirk“ ausgewiesen. Das heißt, dass dort Demonstrationen grundsätzlich erlaubt sind, erst recht in sitzungsfreien Zeiten. Allerdings müssen sie, anders als sonst, nicht nur angemeldet, sondern auch zugelassen werden, worüber das Innenministerium zusammen mit dem Bundestagspräsidenten entscheidet. Absagen gab es bisher nur selten, schlechte Erfahrungen ebenfalls nicht. Ausländische Besucher staunen meist, wie nah Demonstranten in Berlin sowohl dem Parlament als auch dem Kanzleramt kommen können.

Auch im konkreten Fall hatte es seitens des Bundestages keine Einwände dagegen gegeben, dass eine Reichsbürger-Gruppe namens „Staatenlos e.V.“ im Rahmen der Corona-Demonstrationen des Wochenendes auf der Wiese vor dem Gebäude eine Bühne aufbaute. Von dieser Gruppe ging die Erstürmung der Reichstagstreppe aus. Die ständig dort stehenden Absperrgitter wurden durchbrochen und einige Hundert Menschen zogen mit Flaggen rechter Organisation, da­runter der Reichsfahne, johlend bis vor die Eingangstür. Diese wurde von drei Polizisten mit Schlagstöcken verteidigt. Nach wenigen Minuten traf Verstärkung ein und räumte das Areal unter Einsatz von Pfefferspray wieder.

Das Erschrecken über den Vorfall war allgemein groß. Von „schändlichen Bildern“ sprach Regierungssprecher Steffen Seibert auch im Namen der Bundeskanzlerin. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble nannte die Ereignisse „verabscheuungswürdig“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfing am Montagvormittag demonstrativ sieben Polizisten im Schloss Bellevue, darunter die drei von der Reichstagstreppe. Nach einem einstündigen Gespräch sagte er, die Ereignisse seien gerade vor dem Hintergrund der Geschichte des Gebäudes „unerträglich“. Steinmeier betonte zwar das Demonstrationsrecht der Corona-Leugner, sagte aber auch: „Wer sich nicht eindeutig von Rechtsextremisten abgrenzt, macht sich mit ihnen gemein.“

Der Berliner Polizei waren die Vorgänge sichtlich peinlich, wie bei einer Sondersitzung des Innenausschusses des Landesparlaments deutlich wurde. Zwar habe man die Gruppe vor dem Reichstagsgebäude im Blick gehabt, sei aber „schlichtweg überrannt“ worden, sagte ein Polizeiführer. Die Bilder seien „beschämend“ gewesen, räumte Innensenator Andreas Geisel (SPD) ein, der aber betonte, dass der Reichstag zu keinem Zeitpunkt ohne Schutz gewesen sei. „Das war ein Moment von ein, zwei Minuten.“

Bei den Anti-Corona-Demonstrationen, die am Sonntag noch weitergingen, gab es mehrere Gewaltausbrüche und massenhaft Verstöße gegen die Infektionsschutzregeln. Insgesamt wurden 33 Polizisten verletzt, 308 Demonstranten wurden vorübergehend festgenommen, 134 Ermittlungsverfahren eingeleitet.

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