Polen 40 Jahre nach Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc Von der Solidarität zum Hass

Danzig · 40 Jahre nach der Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc in Polen sind aus den Freiheitskämpfern von einst Feinde geworden.

 Streikführer Lech Walesa spricht am 26. August 1980 zu seinen Kollegen in der Danziger Leninwerft und hält den Entwurf des Danziger Abkommens in der Hand, das erstmals freie Gewerkschaften im kommunistischen Polen erlaubt. Am 31. August wird es schließlich von Walesa und Vize-Premier Mieczyslaw Jagielski unterzeichnet.

Streikführer Lech Walesa spricht am 26. August 1980 zu seinen Kollegen in der Danziger Leninwerft und hält den Entwurf des Danziger Abkommens in der Hand, das erstmals freie Gewerkschaften im kommunistischen Polen erlaubt. Am 31. August wird es schließlich von Walesa und Vize-Premier Mieczyslaw Jagielski unterzeichnet.

Foto: picture alliance / AP/dpa Picture-Alliance

Als im August 1980 die Arbeiter auf der Danziger Leninwerft den Aufstand proben, ist Bozena Rybicka längst im antikommunistischen Untergrund aktiv. Eine lebenshungrige Nahrungsmitteltechnikerin inmitten der Mangelwirtschaft. Doch die materielle Not ist nur das kleinere Problem. Die Oppositionellen berufen sich auf die Schlussakte von Helsinki. Dort haben die Blöcke 1975 einen Deal geschlossen. Der Westen verspricht Nichteinmischung, der Osten die Achtung der Menschenrechte. Das ist das größere Problem. Die ersten Forderungen der Streikenden lauten: Anerkennung unabhängiger Gewerkschaften. Freiheit des Wortes. Erst danach geht es um mehr Geld, Urlaub und Fleisch.

Die Staatsmacht zögert. Anders als 1970, als die kommunistische Führung eine erste Revolte auf der Danziger Werft blutig niederschlagen lässt. 45 Menschen sterben. Zehn Jahre später jedoch gibt es diese Helsinki-Akte. Außerdem liegt die polnische Wirtschaft am Boden. Das Proletariat wird gebraucht. Die Menschen in Danzig wittern ihre Chance. Die Bevölkerung schließt sich dem Aufstand an. „Allein wären wir verloren gewesen“, sagt Rybicka. Tausende kommen vor das Werfttor. Sie bringen Essen, Wäsche, Medikamente. Täglich um 16 Uhr knien sie nieder und beten. Gemeinsam.

Bald ist das halbe Land in der Revolte vereint. In hunderten Betrieben wird gestreikt. Aber auch Universitäten schließen sich an und Priester. Denn der Aufstand hat zwei Leitfiguren. In Danzig „zweifelt niemand die Führung von Lech Walesa an“, erinnert sich Rybicka. Der 36-jährige Elektriker mit dem Schnauzbart hat schon 1970 mitgekämpft und steckt die Streikenden nun mit seiner unbändigen Energie an.

Die Angst ist im Sommer 1980 nicht verschwunden. „Aber das geschwisterliche Miteinander hat uns zum Sieg getragen“, sagt Rybicka. Die Solidarität ist jener Punkt, um den sich alles dreht. Dagegen kommt die Staatsmacht nicht an. Sie lenkt ein. Am 31. August setzt Walesa seinen Namen unter ein Abkommen, das faktisch eine Kapitulationsurkunde der kommunistischen Führung ist. Erstmals wird im Sowjetblock eine Opposition legalisiert. Denn die Gewerkschaft Solidarnosc ist in Wirklichkeit eine Freiheitsbewegung. Sie ebnet den Weg zu den friedlichen Revolutionen von 1989. „Wir haben den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen“, sagt Rybicka.

Die Solidarnosc wächst rasant, auf fast zehn Millionen Mitglieder, die von der Freiheit nicht mehr lassen wollen. Dagegen hilft auch kein Kriegsrecht mehr, das General Wojciech Jaruzelski im Dezember 1981 verhängt. Das Grau kehrt zurück, aber es ist nur noch eine Episode. 1983 bekommt Walesa den Friedensnobelpreis. 1985 übernimmt Michail Gorbatschow in Moskau das Ruder und leitet Reformen von oben ein. Perestroika und Glasnost treffen sich mit der Solidarnosc, die frische Blüten treibt.

Der Rest ist Geschichte, könnte man meinen. Oder sogar ihr Ende? Im August 2020 ist Polen gezeichnet vom Hass. Keine zwei Jahre ist es her, dass in Danzig ein Mann Bürgermeister Pawel Adamowicz ein Messer in den Leib rammt. „Seine Partei hat mich foltern lassen, deshalb muss er sterben“, brüllt der psychisch kranke Täter. 41 Blutkonserven können Adamowicz nicht retten, der Danzig in eine weltoffene Metropole verwandelt hat. Doch den Erfolg gönnen ihm seine Gegner nicht. Politiker der rechtsnationalen PiS überziehen Adamowicz mit ätzender Kritik. Der Attentäter hört zu. Bildet sich Folter ein. Und irgendwann sticht er zu.

Aber es hat auch die anderen schon getroffen. Im Herbst 2010 erschießt ein Mann in Lodz in einem PiS-Büro einen Mitarbeiter. Eigentlich habe er Parteichef Jaroslaw Kaczynski töten wollen, gibt er zu Protokoll. Aus Hass. Nach solchen Taten beschwören Politiker in Polen regelmäßig eine „neue Solidarität“. Es braucht sie dringender denn je. Das zeigt der Präsidentschaftswahlkampf im Juli. Amtsinhaber Andrzej Duda lässt der Hetze freien Lauf. Homosexuellen spricht er das Menschsein ab. Am Ende gewinnt er mit 51 Prozent.

Dudas Wahlkampf bleibt nicht ohne Reaktion. Adam Michnik, Solidarnosc-Legende von 1980, empfiehlt dem Präsidenten den Gang zum Psychiater. Über Kaczynski sagt er: „Er hasst Menschen und demütigt sie.“ Das Land der Solidarität ist zu einem Land der wechselseitigen Verachtung geworden.

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