Spekulationen nach Besuch Hat Putin seinen Doppelgänger auf die Krim geschickt? (mit Fotos)

Moskau/Berlin · Hat der russische Präsident aus Angst vor Anschlägen ein Double auf die Krim und nach Mariupol geschickt? Die Hinweise darauf verdichten sich.

War ein Double von Wladimir Putin in der Ukraine?
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War ein Double von Wladimir Putin in der Ukraine?

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Foto: dpa/Uncredited

Erhard Bühler ist ein besonnener Mann. Sachlich, nüchtern, immer an gesicherten Fakten orientiert: So erklärt der ehemalige Nato-General in einem Podcast des MDR seit einem Jahr alles Militärische rund um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. „Darüber will ich nicht spekulieren“, lautet ein Lieblingssatz des Generals a. D. Anfang der Woche jedoch brachen selbst bei Bühler die letzten Dämme gegen die Gerüchteflut.

Er habe sich schon gewundert, dass Wladimir Putin das Risiko eingegangen sei, auf die Krim und nach Mariupol zu reisen. Sichere Ziele seien das definitiv nicht für einen Präsidenten, erklärte der General und fügte dann unvermittelt hinzu: „Wenn er es denn selbst war.“

Putin: Experte hält Doubletheorie für möglich

Wie bitte – Putin nicht er selbst? Immerhin sendeten russische Fernsehkanäle die Reisebilder quasi in Dauerschleife. Nun ja, erläuterte Bühler seine Skepsis, es gebe „seit Monaten Hinweise, dass Putin in Russland Doubles hat, die ihn vertreten. Ich glaube, das ist auch plausibel, wenn man sieht, wie vorsichtig er zu Zeiten von Corona war. Wie wenige Leute er getroffen hat. Und wenn man sieht, wie in Moskau ganze Straßenzüge abgesperrt werden, wenn er sich da bewegt.“ Stets seien dann „viele, viele Sicherheitskräfte“ im Einsatz. Und nun das: „In Frontnähe, in Partisanennähe, fährt er selbst am Steuer und hat überhaupt keine Sicherheitsbeamten dabei? Das kommt einem schon sonderbar vor.“ Im Übrigen, so Bühler, bitte er das nicht als Spekulation zu verstehen.

Das gesicherte Faktenwissen zur Doubletheorie ist allerdings überschaubar. Was es gibt, sind Indizien und Hypothesen, die teils gut, teils weniger gut begründet sind. Zu den Indizien zählen zuallererst die Bilder selbst. Vor allem ukrainische Fachleute stellten diverse Fotos ins Netz, die Putin bei seinen Besuchen auf der Krim und in Mariupol im Profil zeigen.

Direkt daneben platzierten sie Aufnahmen aus dem Februar und markierten die Unterschiede. Mal mit, mal ohne Doppelkinn. Hier ohne Fältchen an der Ohrmuschel, dort mit. Der Haaransatz ist hier etwas höher als dort. Aber reicht das? Zweifel am „Beweismaterial“ bleiben. Zumal die Lichtverhältnisse bei der Nachtfahrt des angeblichen Putin durch Mariupol und bei den kurzen Stopps in der Stadt miserabel waren.

Putin lässt öffentliche Auftritte im Detail planen

Überzeugend dagegen klingt das Argument, das auch General Bühler plausibel nennt: Der ehemalige Geheimdienstchef Putin vermeidet seit Jahren alle öffentlichen Auftritte, bei denen sein Sicherheitspersonal nicht alles bis ins kleinste Detail kontrollieren kann. Speisen und Getränke werden vorgekostet, berichten Kreml-Insider. Diplomaten oder Journalistinnen aus dem Ausland, die bei Staatsbesuchen oder auf Pressekonferenzen in die Nähe des Präsidenten kamen, schildern ihre Erlebnisse mit dem „strengsten Kontrollregime der Welt“. Während der Corona-Pandemie war teilweise ein halbes Dutzend Tests vorgeschrieben. Berühmtheit erlangten auch die Bilder vom einsamen Putin beim Weihnachtsgottesdienst in der Kremlkirche, den der Präsident allein mit dem Priester feierte.

Doch damit nicht genug. Bei seinem Auftritt am 9. Mai, dem „Tag des Sieges“ im Zweiten Weltkrieg, trug Putin eine kugelsichere Weste. Die geplante Flugshow über Moskau wurde kurzfristig abgesagt, offenkundig aus Sicherheitsgründen. Als Putin Anfang Februar zum Gedenken an die Schlacht von Stalingrad in die Wolga-Metropole reiste, verlegten Bauarbeiter dort sogar die Gehwegplatten neu, um die Sturzgefahr für den Präsidenten zu minimieren.

Putin in einem Kriegsgebiet? Zweifel an Reise nach Mariupol

Und ausgerechnet dieser Putin soll mit einem Hubschrauber von der Krim nach Mariupol geflogen sein, mitten durch ein Kriegsgebiet, in dem jede Bewegung im Luftraum vom Gegner überwacht wird? Nur um sich dann an das Steuer eines Autos zu setzen, ohne Leibgarde durch die Stadt zu fahren und bei Zwischenstopps mit Fremden zu reden?

Das glauben auch russische Fachleute nicht. „Wenn ich einen angeblichen Putin in einer Menschenansammlung sehe, weiß ich sofort, dass das ein Doppelgänger ist“, erklärt etwa Igor Girkin, ein ehemaliger Oberst des Militärgeheimdienstes GRU, der 2014 die prorussischen Milizen im Donbass anführte. Der nationalistische Hardliner gilt inzwischen zwar als scharfer Putin-Kritiker, der kaum eine Gelegenheit zu Hohn und Spott auslässt.

Aber auch neutrale Experten verweisen darauf, dass sich die Lage auf der Krim und in Mariupol derzeit nicht sicher kontrollieren lasse. Das Überraschungsmoment sei in Zeiten der Live-Kommunikation über das Internet kaum noch gegeben. Und schon gar nicht sei auf diese Weise Sicherheit zu garantieren.

Rufe bei Putin-Besuch: „Das ist alles Lüge, alles für die Show!“

Ein Vabanquespiel also – passt das zu Putin? Wie problematisch der angebliche Präsidentenbesuch in Mariupol war, belegen die Videoaufnahmen. Bei einem Gespräch mit Einheimischen ist plötzlich im Hintergrund eine Frauenstimme zu hören: „Das ist alles Lüge, alles für die Show!“ Die Szene erinnerte an die Protestaktion der russischen TV-Journalistin Marina Owsjannikowa vor einem Jahr. Die Redakteurin hielt kurz nach Kriegsbeginn ein Schild in die Kamera: „Hier werden Sie belogen.“ Die Wirkung auf das Publikum verpuffte allerdings.

 Auf diesem von einem russischen Fernsehsender veröffentlichten Videostandbild winkt Russlands Präsident Wladimir Putin (M), Anwohnern im der russisch besetzten ukrainischen Stadt Mariupol zu. Aber ist es tatsächlich Putin? Darüber wird inzwischen spekuliert.

Auf diesem von einem russischen Fernsehsender veröffentlichten Videostandbild winkt Russlands Präsident Wladimir Putin (M), Anwohnern im der russisch besetzten ukrainischen Stadt Mariupol zu. Aber ist es tatsächlich Putin? Darüber wird inzwischen spekuliert.

Foto: dpa/---

Den Grund dafür sieht der russische Kommunikationsexperte Fjodor Kraschennikow in der Vielstimmigkeit, die zum Wesen der Kreml-Propaganda gehöre. Die Staatssender verbreiteten systematisch mehrere Versionen der Wirklichkeit, gerade bei missliebigen Ereignissen. Auf diese Weise gingen die gesicherten Fakten, auf die Erhard Bühler so großen Wert legt, in der Geschichtenvielfalt unter. Am Ende, sagt Kraschennikow, sei deshalb „die Propaganda immer wirksamer als die Wahrheit“.

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