Papier der Regierung Das No-Deal-Szenario schürt das Brexit-Drama

London · Ein Regierungspapier zu den Folgen eines EU-Austritts ohne Vertrag empört nicht nur die Opposition.

 Frankreich hat 600 neue Zollbeamte ausgebildet und zusätzliche Parkplätze um seine Häfen herum gebaut, um Fahrzeuge abstellen zu können, die im Falle eines No-Deal-Brexits zusätzlichen Kontrollen unterzogen werden müssen.

Frankreich hat 600 neue Zollbeamte ausgebildet und zusätzliche Parkplätze um seine Häfen herum gebaut, um Fahrzeuge abstellen zu können, die im Falle eines No-Deal-Brexits zusätzlichen Kontrollen unterzogen werden müssen.

Foto: dpa/David Vincent

Beunruhigt wirkte Boris Johnson keineswegs, als er sich am Donnerstag für die Kameras an der Themse in London vor einem Schiff postierte, um die jüngsten Rückschläge seiner erst kurzen Amtszeit zu kommentieren. Doch die Nervosität in der Downing Street dürfte zunehmen. Denn das Vereinigte Königreich ist nicht ausreichend auf einen ungeordneten Austritt aus der EU vorbereitet.

Das geht aus dem sogenannten „Yellowhammer“-Dokument hervor, das die britische Regierung auf Druck des Parlaments am Mittwochabend veröffentlicht hat. Bereits vor einigen Wochen wurden Inhalte des Papiers Medien zugespielt. Seitdem haben sich zwar die düsteren Prognosen kaum geändert, dafür aber der Titel. Das sechs-Seiten-Dokument, benannt nach der unschuldigen gelben Goldammer, hieß erst „Grundlegendes Szenario“, jetzt „Planungsmaßnahmen für den schlimmsten Fall“. Die möglichen Folgen eines No-Deal-Brexit lediglich eine Frage der Formulierung? Es ist der jüngste Aufreger auf der Insel.

Demnach drohen bei einer Scheidung ohne Vertrag und Übergangsphase Engpässe bei Lebensmitteln, Benzin und Medikamenten aufgrund von Staus auf den Handelswegen durch den Ärmelkanal – zusätzlich verstärkt durch Hamsterkäufe. Lkw müssten wegen der Zollkontrollen mit massiven Verzögerungen rechnen und an den Häfen wird auf Monate hinaus mit Störungen und Chaos gerechnet.

Darüber hinaus warnen die Experten vor landesweiten Protesten und Störungen der öffentlichen Ordnung. Dies würde eine „erhebliche Menge“ an Polizeikräften in Anspruch nehmen. Britische Bürger könnten härteren Einwanderungskontrollen an EU-Grenzen ausgesetzt werden, und auf hoher See erwarten die Verfasser des Papiers Auseinandersetzungen zwischen britischen Fischern und den Konkurrenten aus EU-Mitgliedstaaten. Außerdem würde ein No Deal zu der bereits jetzt so heftig umstrittenen harten Grenze zwischen Nordirland und Irland führen.

Die Regierung versuchte auf allen Kanälen zu beruhigen, dass es sich lediglich um ein Worst-Case-Szenario handele und nicht um eine Prognose der wahrscheinlichen Entwicklung. Die Opposition dagegen schäumte. Die Vorbereitungen erinnerten mehr an Planungen für „einen Krieg oder eine Naturkatastrophe“, hieß es von Labour. Johnson solle das Parlament aus der Zwangspause zurückholen, um sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen, forderten etliche Politiker. „Es ist vollkommen verantwortungslos, dass die Regierung versucht hat, diese schonungslosen Warnungen zu ignorieren und die Öffentlichkeit davon abhalten wollte, die Beweise zu sehen“, sagte Labour-Mann Keir Starmer. Johnson müsse jetzt zugeben, dass er das britische Volk über die Konsequenzen eines ungeordneten Brexit belogen habe. Das Unterhaus hatte am Montag, kurz vor Beginn der von Johnson auferlegten fünfwöchigen Suspendierung des Parlaments, die Herausgabe aller Dokumente zur No-Deal-Planung durchgesetzt.

Der Premier versicherte derweil, in den vergangenen Monaten und insbesondere während seiner 50 Tage im Amt habe man die Vorbereitungen beschleunigt. Er zeigte sich „sehr hoffnungsvoll“, dass sich London und Brüssel während des EU-Gipfels am 17./18. Oktober auf einen Deal einigen werden. „Aber wenn wir am 31. Oktober ohne Abkommen austreten, werden wir bereit sein“, sagte Johnson.

 Chelsea-Fans kommen zum Stadion. Der Brexit könnte auch für den britischen Fußball negative Folgen haben.

Chelsea-Fans kommen zum Stadion. Der Brexit könnte auch für den britischen Fußball negative Folgen haben.

Foto: dpa/Adam Davy
  Ein No-Deal-Brexit hätte wohl viele Folgen: Zoll-Stress am Ärmelkanal, Transfer-Stress für britische Fußball-Clubs oder Arznei-Mangel auf der Insel.

Ein No-Deal-Brexit hätte wohl viele Folgen: Zoll-Stress am Ärmelkanal, Transfer-Stress für britische Fußball-Clubs oder Arznei-Mangel auf der Insel.

Foto: dpa/Matthias Hiekel

Die Sorgen nehmen jedoch zu. So quellen die britischen Medien über von eindringlichen Warnungen diverser Experten: Supermarktchefs reden von der Wahrscheinlichkeit, dass viele Regale in der Obst- und Gemüseabteilung leer bleiben könnten aufgrund von Lieferschwierigkeiten. Mediziner fürchten, dass lebenswichtige Medikamente, die nicht gelagert werden können, nicht rechtzeitig die Insel erreichen. Vertreter der Autoindustrie sprechen bei einer Einführung von Zöllen von steigenden Preisen. Das Land ist im Krisenmodus, der aktuelle Brexit-Termin am 31. Oktober rückt näher – und Boris Johnson betont unaufhörlich, dass er nicht, wie vom britischen Parlament via Gesetz aufgetragen, um eine Verschiebung der Frist in Brüssel bitten will.

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