Armut ist eine Doppelbelastung

Berlin. Arme Kinder müssen laut einer Langzeitstudie nicht benachteiligt bleiben - wenn Eltern, Kitas und Schulen an einem Strang ziehen. "Der Spruch "einmal arm, immer arm" gilt nicht immer", sagte der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Wolfgang Stadler, gestern in Berlin bei der Vorstellung der Erhebung

Berlin. Arme Kinder müssen laut einer Langzeitstudie nicht benachteiligt bleiben - wenn Eltern, Kitas und Schulen an einem Strang ziehen. "Der Spruch "einmal arm, immer arm" gilt nicht immer", sagte der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Wolfgang Stadler, gestern in Berlin bei der Vorstellung der Erhebung. Es sei die erste umfassende Studie in Deutschland zu Kinderarmut über einen längeren Zeitraum.

Die Awo ließ 900 arme und nicht arme Kinder im Vorschulalter 15 Jahre lang begleiten. Rund die Hälfte der Kinder (43 Prozent) schaffte den Sprung aus der Armut. Allerdings rutschte rund jedes fünfte Kind über die Zeit in ein armes Leben ab. Für die Untersuchung gilt als arm, wer höchstens 50 Prozent des deutschen Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat.

Studienleiterin Gerda Holz betonte die Bedeutung von Eltern und anderen Bezugspersonen. "Kinder brauchen Orientierung. Sie sind keine kleinen Erwachsenen." Selbst für die 16- bis 17-Jährigen spielten die Eltern eine sehr wichtige Rolle. Brüche in der Betreuung durch Eltern, Erzieher und Lehrer seien ein großes Problem. Auch wenn einige Kinder später der Armut entkommen könnten, hätten sie schlechtere Startchancen. "Arme Kinder werden oft verspätet eingeschult", sagte Holz. An der Schule müssten sie häufiger Klassen wiederholen. Nur jedes dritte Kind aus einer armen Familie kam ohne Ehrenrunde durch die Schule, unter den nicht armen Kindern war es die Hälfte. "Die Bewältigung von Armut ist eine Doppelbelastung", mahnte Holz. Arme Kinder müssten oft Aufgaben ihrer Eltern übernehmen und sich um kleine Geschwister kümmern. Zudem seien sie öfter auf Nebenjobs angewiesen. Dadurch bleibe automatisch weniger Zeit für die Schule.

In Deutschland leben über 2,5 Millionen Kinder in Einkommensarmut, wie der Deutsche Kinderschutzbund schreibt. Dies entspreche rund einem Fünftel aller Personen unter 18 Jahren.

Auch die Studie der Awo zeichnet teilweise ein ernüchterndes Bild. "Die Lebenswege beider Gruppen gehen weiter auseinander", sagte Holz. Auch deshalb müsse mehr in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche investiert werden, forderte Stadler. Das Betreuungsgeld sei dabei genau der falsche Weg. "Wir hoffen, dass diese Botschaft ankommt."Foto: dpa

Meinung

Mehr Chancen durch Kitas

Von SZ-Redakteur

Ulrich Brenner

Die Start-Vorteile jener Kinder, die in einem bildungsnahen Elternhaus aufwachsen, wird der Staat nie ganz ausgleichen können. Nur ein totalitäres Regime, das Kinder in egalitärem Wahn ganz den Eltern entzieht, könnte das leisten. Doch ein Weg, dem Nachwuchs aus schwierigerem Umfeld mehr Chancen zu geben, ist bekannt: Er muss früh außerhalb des Elternhauses, in Kitas etwa, gefördert werden. Welches Timing, dass die Studie erschien, als das Betreuungsgeld wieder für Krach sorgte! Wenn etwas garantiert nicht geeignet ist, Kinder zu fördern, dann eine Prämie fürs Zuhausebleiben.

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