Wien auf Polaroid

Wien · Stadterkundungen mit der Polaroid? In Wien feiert die Sofortbildkamera ein Comeback. Zwei Jungunternehmer bieten dort Rundgänge für Touristen mit dem altmodischen Fotoapparat an.

 Mit der Polaroid schaut man anders: Auf dem Foto oben bringen sich zwei Polawalker in Wien mit ihren Kameras in Stellung. Unten: Graffiti – aufgenommen mit der Sofortbildkamera. Fotos: PolaWalk/urban

Mit der Polaroid schaut man anders: Auf dem Foto oben bringen sich zwei Polawalker in Wien mit ihren Kameras in Stellung. Unten: Graffiti – aufgenommen mit der Sofortbildkamera. Fotos: PolaWalk/urban

Das erste Motiv sitzt gleich um die Ecke: Er in einem wunderbar altmodischen Anzug. Sie ganz in beige, mit Hütchen. Alle schauen hin, denken, das wär's jetzt - und keiner macht ein Foto. Ist ja auch nicht so einfach, wenn man sein Handwerkszeug, eine Polaroidkamera, erst wenige Minuten zuvor bekommen hat. Die baumelt jetzt am Hals, dazu ein Täschchen, in das die fertigen Aufnahmen verstaut werden sollen. Polaroid braucht Wärme, um sich gut zu entwickeln. Das hat Thomas Preyer der Gruppe, die er durch Wien führt, gerade erklärt. Also: Jacken schließen!

Doch noch ist das polaroid-typische Surren nicht zu hören. Noch zittert die Hand beim Halten der seltsamen Kästchens. Linke Hand einsetzen zum Stützen, meint Preyer, der die "PolaWalks" zusammen mit Gilbert Lechner anbietet. Diese Stadtrundgänge mit der Polaroidkamera gibt es es in verschiedenen Ausführungen: "classic", also das, was man bei der typischen Stadtrundfahrt für Touristen auch sehen kann oder "Prater", also der Ort, wo alle Wien-Touristen hinwollen.

Die Gruppe, die Preyer an der Abertina in Empfang nimmt, hat "urban und kreativ" gewählt. Sie wird später an "street art" neben der Donau vorbeigeführt und durch das Museumsviertel spazieren. Die PolaWalker schauen zur Seite, nach oben, nach unten. Und stürzen sich dann alle auf einen altmodischen Fotoautomaten, in dem man Passfotos anfertigen kann. Irgendwie scheint es, als lenke die Polaroidkamera den Blick ganz anders als die Digitalkamera oder die Kamera des Smartphones.

Thomas Preyer, 33, kommt nicht aus der Tourismusbranche. Er hat seinen Bachelor in Betriebswirtschaftslehre gemacht und schreibt gerade an seiner Master-Arbeit an der Fachhochschule für Produktmarketing & Innovationsmanagement. Gilbert Lechner, 28, studiert an der Fachhochschule für Unternehmensführung und spezialisiert sich auf Produktmanagement.

Gemeinsam ist ihnen die Liebe zur Polaroidkamera, die lange als verschwunden galt. 2008 stellt die Firma Polaroid die Produktion ein. Doch jetzt erlebt das Sofortbild sein Revival. Im Büro der beiden Jungunternehmer stehen die verschiedensten Modelle. Hier werden an einem langen Holztisch auch die Bilder der Touristen angeschaut.

Preyer und Lechner haben ihren Stadtrundgängen der besondern Art eine Marktlücke entdeckt - die sich langsam, aber stetig füllt. 2014 waren es 74 Touren durch Wien , 2015 mehr als das Doppelte. In Graz und Warschau beginnen sie erst. In Graz sind Preyer und Lechner mehrmals im Jahr. Die Tour dort führen sie selbst; erstellt wurde sie mit Hilfe einer befreundeten Grazerin. In Warschau werden die Touren seit April 2015 über eine selbstständige Partnerin angeboten.

In Wien haben sich die PolaWalks bereits etabliert. Jüngst war mal ein Australier dabei; er hatte in einer Zeitung von der modernen Form des Stadtrundgangs gelesen. Die Gruppe "urban und kreativ" läuft am Palmengarten vorbei, schaut sich im Park um. Manche versuchen das alte, geschwungene Tor mit der Polaroidkamera zu erfassen, andere warten lange, bis sie das erste Foto schießen. Am Donauufer, dort wo die Wände für Graffiti genutzt werden, geht es in den Endspurt, denn der Rundgangs endet bald. Jetzt wird alles mögliche fotografiert. Das Kartenhäuschen, an dem während der Hauptsaison die Tickets für die Donauschiffe gelöst werden, die Holzpaletten rum um den Stand, an dem im Sommer Würstchen verkauft werden. Die Graffiti an der Wand in groß und im Detail. Zwischendrin die Tür zum "Flex", einem der angesagten Nachtclubs, an der Donaupromenade. Ohne den Blick durch den Sucher der Polaroidkamera hätte man den ehemaligen U-Bahn-Bunker, in dem sich die Liebhaber elektronischer Underground-Musik treffen, wohl nicht gefunden.

Meisterwerke sind nach drei Stunden PolaWalk keine entstanden, wenngleich man bei der Fotobesprechung im Büro der Polawalker neidvoll auf die Fotos der anderen schaut. Schöne Farben haben einige, während andere blass und verwackelt sind. Das kommt davon, wenn man die Tipps des Polaroid-Profis nicht befolgt. Dennoch: Polawalker zu sein ist ein schönes Erlebnis. Beim nächsten Mal dann im Prater. Mit einer Jacke, unter der man die Schnappschüsse gut wärmen kann. Dann wird es vielleicht auch was mit der Farbe.

www.polawalk.com

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