Nur Zeit ist Geld

London · Die Gäste des Cafés Ziferblat sollen sich wie im Wohnzimmer einer Wohngemeinschaft fühlen. Das Konzept ist ungewöhnlich: Gäste bezahlen nicht für die Waren, sondern für die Zeit, die sie im Café verbringen.

 Die Einrichtung des Cafés soll die Gäste an das eigene Wohnzimmer erinnern. Foto: Pribyl

Die Einrichtung des Cafés soll die Gäste an das eigene Wohnzimmer erinnern. Foto: Pribyl

Foto: Pribyl

Unten an der Tür verrät nur ein kleines Klingelschild, dass sich in dem Gebäude das gesuchte Café Ziferblat versteckt. Kann es wirklich hier sein? Dann geht schon die Tür auf. Auf in den ersten Stock, wo sich eine Gemütlichkeit offenbart, die an Wohngemeinschaften erinnert.

Bücher stehen hier keineswegs zur Dekoration in den Regalen, sondern wirken gelesen, ein Klavier lädt zum Spielen ein und die abgewetzten Sofas und Sessel verbreiten im angesagten Oma-Chic eine heimelige Atmosphäre. Dennoch: Es ist ein Café, nur eben anders. Denn im Ziferblat ist alles umsonst. Nur für eines müssen die Besucher bezahlen: Für die Zeit, die sie hier verbringen.

Das Pay-per-hour-Prinzip kommt an in Großbritannien. Neben dem Ziferblat in London existieren drei weitere Cafés auf der Insel. "Wir versuchen weniger ein Café zu sein, sondern wollen vielmehr einen Gemeinschaftsraum anbieten", erklärt Marketingmanager Ben Davies das Konzept, das der Russe Ivan Meetin vor einigen Jahren in seiner Heimatstadt Moskau umsetzte und dann mit Erfolg ins Königreich sowie in andere russische sowie osteuropäische Städte exportierte.

"Der Trend geht dahin, dass wir immer globaler werden", so Davies. Dafür bräuchten die Menschen einen Raum, den sie flexibel nutzen könnten und der an den Einzelnen angepasst sei. Das Bild an diesem Nachmittag in dem Londoner Ableger im hippen Stadtviertel Shoreditch bestätigt Davies' Beschreibung. In einer Ecke sitzen zwei Freiberufler, einer aus der Medienbranche , die andere Designerin, vor ihren Laptops, drei Mütter treffen sich mit ihren Babys zum Plausch und Kaffee, an einem Tisch findet ein Geschäftstreffen selbstständiger Architekten statt. Der Prozentsatz jener, die das Selbstbedienungskonzept ausnutzen und nur kurz einkehren, dafür aber überdurchschnittlich viel essen und trinken, sei "deutlich geringer als man erwarten würde".

 Kuchen, Kekse, Kaffee und Tee sind umsonst. Foto: Pribyl

Kuchen, Kekse, Kaffee und Tee sind umsonst. Foto: Pribyl

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Dass das Ziferblat nicht auch schon in anderen Städten in Europa vertreten ist, begründet Davies mit einem knappen Satz: "Du willst gehen können, bevor du anfängst zu rennen." Sprich: Es dauert noch. Die Uhren ticken hier eben anders, auch wenn Zeit im Ziferblat tatsächlich Geld ist.

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