Nadelstiche unter Nadelstreifen

Duisburg · Die Zeit, als Tattoos vor allem im Knast- oder Hafenmilieu zu finden waren, ist vorbei. Heute werde die eigene Haut quer durch die Gesellschaft zur Selbstdarstellung genutzt, sagt der Autor einer Doktorarbeit.

Mal zeigen sie chinesische Schriftzeichen, mal Tiere - und auch das "Arschgeweih" ist noch nicht ganz verschwunden: Etwa jeder zehnte Deutsche trägt ein Tattoo. Tobias Lobstädt ist fasziniert von der Psychologie hinter den kleinen Bildchen. In seiner Doktorarbeit hat sich der Erziehungswissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen mit Tattoos beschäftigt.

"Tätowierung, Narzissmus und Theatralität" hat er die Dissertation genannt. Vordergründig gehe es den Tätowierten oft um die Ästhetik der Bilder und Schriftzeichen. Aber auch Narzissmus spiele eine große Rolle: "Narzissmus ist dabei keineswegs negativ gemeint", betont der Wissenschaftler. Narzissmus sei eben auch die Liebe, die ein Mensch sich selbst entgegenbringe.

Häufig ließen sich Menschen ihre Tattoos in besonderen Situationen stechen. "Das können auch Krisen sein." Dann dienten Tattoos dazu, das Unaussprechliche mit einem Symbol zum Ausdruck zu bringen.

Diese Erfahrung hat auch Manfred Heise gemacht, der seit 20 Jahren als Tätowierer arbeitet. "Wenn Veränderungen im Leben mit starken Emotionen verknüpft werden - zum Beispiel, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist - lassen sich immer mehr Kunden ein Porträt mit dem Geburts- oder Sterbedatum stechen", erzählt er. Generell hätten Tattoos oft eine besonders Symbolik. "Die Leute versuchen durch Bilder von Tigern oder Ähnlichem einen Begleiter zu schaffen, der Eigenschaften hat, die man selber nicht hat."

Rund 6,3 Millionen Menschen in Deutschland sind laut GfK tätowiert. Der Bundesverband der Tätowierer (BVT) spricht sogar von bis zu acht Millionen. Damit trägt mindestens jeder Elfte ab 16 Jahren ein Tattoo (9 Prozent). Bei den 25- bis 34-Jährigen sind es doppelt so viele (22 Prozent). Zu den Umsätzen der Branche gibt es keine gesicherten Zahlen.

Die eigene Inszenierung und Selbstdarstellung werde immer wichtiger, sagt Wissenschaftler Lobstädt. "Ein schnell wechselnder Bekanntenkreis und neue Arbeitsumfelder erfordern eine schnelle Selbstdarstellung über den Körper", erklärt er. "Der Körper wird generell zum Darstellungsmedium. Das kann der schicke Anzug oder die teure Uhr sein, oder eben auch das Tattoo."

Doch das schöne Tattoo kann nach einigen Jahren auch zu einem großen Problem werden. 5 bis 15 Prozent aller Tattoo-Träger bereuen die Bilder auf ihrer Haut, wie die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im vergangenen Jahr ermittelt hat. Sei es, weil ein Tattoo an eine längst verflossene Liebe erinnert oder weil das früher stärker verbreitete "Arschgeweih" die weiblichen Trägerinnen heute eher stigmatisiert. Ein Tattoo hält ewig. Die Idee dahinter aber nicht immer.

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