Eine unbekannte Welt wird sichtbar

Amsterdam · Wir sind nicht allein. Milliarden Mikroben leben auf unserem Körper. Doch sehen können wir sie normalerweise nicht. In Amsterdam führt nun „Micropia“ die Besucher in die Welt der kleinsten Wesen des Planeten ein.

Ein rotes Herz aus Plexiglas leuchtet verführerisch auf dem Boden. Ein Pärchen betritt es, umarmt sich zärtlich. Die Lippen treffen sich zum Kuss. Auf dem Videoschirm dahinter rattern Zahlen. "Sie haben soeben eine Million Mi-kroben ausgetauscht." Zugegeben: Romantisch ist diese Botschaft nicht. Doch das Kiss-o-Meter gehört auch nicht zu einer Dating-Show, sondern ist der Blickfang von Micropia. Die niederländische Königin Máxima hat den weltweit ersten Zoo für Mikroben gestern eröffnet.

Der Amsterdamer Tierpark Artis, mit 176 Jahren einer der ältesten der Welt, erweiterte seinen Tierbestand um die kleinsten und ältesten Lebewesen des Planeten . "Wir wollen kein Reservat für aussterbende Arten sein", begründet Direktor Haig Balian. "Wir wollen zeigen, dass alles in der Natur zusammenhängt." Eine graue Box in einem der Gebäude des Zoos ist nun die Heimat von Bakterien, Schimmelpilzen, Algen, anderen Einzellern und Tieren, die nicht mit bloßem Auge sichtbar sind. Wesen, die das Leben auf dem Planeten erst ermöglichen.

Bei vielen Menschen erzeugt schon der Gedanke an Mikroben Ekel, Angst oder einen unstillbaren Juckreiz. "Was man nicht kennt, macht Angst", sagt Haig Balian. Micropia will diese unbekannte Welt sichtbar machen. "Wenn wir die Natur wirklich verstehen wollen, dann müssen wir die Mikroben kennenlernen", so Balian.

Das fängt beim eigenen Körper an. "Du bist nicht allein", säuselt leicht ironisch der muntere "Microman" in einem Video. Jeder Mensch hat etliche Milliarden Mikroben auf seinem Körper. Das kann jeder Besucher des Zoos selbst mit einem Körper-Scan feststellen. "Allein 80 Arten sind schon auf der Ferse", sagt Direktor Balian.

Micropia ist eine Erfahrung, ein Museum, ein Labor, aber eben auch ein Zoo. "Wir zeigen, wie Mikroben leben, wie sie sich ernähren und sich fortpflanzen", sagt der Direktor. Über zwölf Jahre tüftelten Mikrobiologen niederländischer Universitäten an dem Konzept. Sie wählten die Organismen aus, die auch in einer künstlich erzeugten Atmosphäre überleben können. Gefährliche Exemplare wie den Aids-Erreger HIV sieht man aus Sicherheitsgründen nur im Modell. Andere werden im Foto oder Film abgebildet.

Doch einige der Wesen sind auch zu sehen. Viele so klein, dass man dafür ein Mikroskop braucht. Ein eigens entwickeltes 3D-Fernglas, das an die Linse eines Mikroskopes gekoppelt ist, ermöglicht ein scharfes Bild in tausendfacher Vergrößerung. Nun sieht man die kristallartigen grünen Sterne in einem Wasserbassin - Grünalgen. Mit Hilfe einer Art Joystick kann man sich durch Miniatur-Landschaften bewegen.

In virtuellen Landschaften werden auch extreme Lebensräume von Mikroben gezeigt, das ewige Eis oder der Reaktor von Tschernobyl etwa. Ein Mensch könnte dort nicht überleben. Vieles dieser faszinierenden Welt ist ein Rätsel. Auf Podesten präsentiert der ungewöhnliche Zoo Mikroben fast wie Stars als gläserne Skulpturen. Dort krümmt sich auch ein eleganter "Wurm" mit Stacheln: Es ist das Ebola-Virus.

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