Nashorn-Horn Das letzte Läuten von Big Ben

London · Das Wahrzeichen Londons wird seit gestern saniert, und die Glocken sind bis 2021 still. Ein Skandal oder keine große Sache?

 Der Big Ben am Palace of Westminster in London gestern um zwölf Uhr mittags. ein historischer Moment, denn seitdem stehen die Glocken still.

Der Big Ben am Palace of Westminster in London gestern um zwölf Uhr mittags. ein historischer Moment, denn seitdem stehen die Glocken still.

Foto: dpa/Vickie Flores

(dpa) Streit um ein Wahrzeichen: Der Glockenschlag des Londoner Big Ben ist gestern Mittag für Jahre verstummt. Wegen dringender Sanierungsarbeiten soll das Läuten voraussichtlich bis 2021 aussetzen. Nur zu besonderen Anlässen wie Neujahr wird es – so der Plan – zu hören sein. Nach Protesten von Abgeordneten muss sich das britische Unterhaus nach der Rückkehr aus der Sommerpause erneut mit der Länge der Glockenpause beschäftigen. Im Herbst soll dann die endgültige Entscheidung fallen. Hunderte Londoner und Touristen verfolgten gestern das historische Spektakel um zwölf Uhr in der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs.

Auch Premierministerin Theresa May und Brexit-Minister David Davis hatten Kritik an dem langen Aussetzen des Geläuts geübt. Brexit-Anhänger forderten, dass der Big Ben am Tag des EU-Austritts im März 2019 ertönen müsse. Labour-Politiker Stephen Pound hatte ebenfalls Kritik an den langen Sanierungsarbeiten geübt und pathetisch verkündet: „Die Hoffnung ist in unserem Herzen“, sagte er – und sprach damit durchaus vielen seiner Landsleuten aus dem Herzen.

Anders klangen da die Abgeordnete Jess Phillips und andere Politiker. Sie bezeichneten das Getöse um das Geläut als „lächerlich“. Forderungen, dass Big Ben auch während der Sanierung häufig schlagen sollte, hätten nur einen Effekt: Taubheit der Arbeiter im Turm. Labourchef Jeremy Corbyn sagte, dass Verstummen der Glocken sei nicht gerade ein „nationales Desaster“. Auch dafür gab es viel Zuspruch. Die Nation ist wieder einmal tief gespalten. Also nicht nur, wenn es um den Brexit geht.

Fakt ist aber: Bei knapp 120 Dezibel könnten in der Nähe der Glocken Gesundheitsschäden auftreten. Experten verglichen die Lautstärke der Glocken in dem Turm an der Themse mit Polizeisirenen. Außerdem wäre der organisatorische Aufwand, das Geläut während der Sanierungszeit häufiger zu ermöglichen, enorm – was die Sanierung verzögern könnte. Während der Bauphase wird unter anderem das Uhrwerk überholt und ein Lift in dem Turm am Parlament in Westminster eingebaut. Die Technik hinter dem Läuten muss für jeden Auftritt von Big Ben provisorisch geflickt werden.

Dennoch würden das viele Londoner billigend in Kauf nehmen. Allein schon aus historischen Gründen. Denn seit etwa 157 Jahren schlägt Big Ben fast ohne Unterbrechung. Die Glocken schwiegen zuletzt 2007 und von 1983 bis 1985 wegen Bauarbeiten. Auch das wurde vielerorts mit Kopfschütteln kommentiert.

Benannt wurde Big Ben vermutlich nach dem britischen Baumeister und Politiker Sir Benjamin „Ben“ Hall (1802-1867). Big Ben ist dabei der Name für die größte von fünf Glocken im Elizabeth Tower. Sie ist 13,7 Tonnen schwer und schlägt stündlich, die kleineren Glocken im Viertelstundentakt. Im Volksmund wird der ganze fast 100 Meter hohe Turm als Big Ben bezeichnet. Er gehört zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten in der Hauptstadt und ist Teil des Parlaments, das seit 1987 zum Weltkulturerbe der Unesco gehört.

Der Big Ben ist nicht die einzige Großbaustelle in London. Auch das Parlamentsgebäude selbst, das teils aus dem 18. Jahrhundert stammt, muss runderneuert werden. Seit Jahrzehnten wurde in den etwa 1100 Räumen nur das Nötigste geflickt. So wird die Heizung in dem Gebäude nicht ausgestellt, weil man fürchtet, sie nie wieder anzubekommen. Die meisten der etwa 4000 Fenster schließen nicht richtig, von den Wänden bröckelt es, und viele Mäuse huschen durch die Gänge. Das Milliardenprojekt ist noch nicht vom Parlament abgesegnet.

Der Buckingham-Palast der Queen mit seinen 775 Räumen ist ebenfalls marode. An den elektrischen Leitungen, die sich gut 160 Kilometer durch den Palast schlängeln, wurde seit gut 60 Jahren nichts gemacht. Das Personal musste zeitweise eindringendes Wasser mit Eimern auffangen, um Kunstwerke zu retten. Als ein Handwerker eine Privat-Toilette der Queen reparieren sollte, kam ihm nach einem Bericht der Zeitung „The Guardian“ das Klo aus der Wand entgegen.

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