Alles Lüge bei Karl dem Großen?

Aachen · Karl der Große feierte 2014 offiziell seinen 1200. Todestag. Wirklich? Ein bayerischer Publizist behauptet seit Jahren, der Frankenkönig habe nie exisitiert – genau wie das Mittelalter.

Zugegeben, es ist eine etwas befremdliche Theorie, dass die Menschheit aktuell eigentlich im Jahr 1717 nach Christus lebt. Der Publizist Heribert Illig aus dem oberbayerischen Gräfeling behauptet seit 20 Jahren in seinen Veröffentlichungen, dass fast drei Jahrhunderte, nämlich die Zeit von 614 bis 911, in Wirklichkeit nie stattgefunden hätten. Die "Fantomzeit" sei im Nachhinein von mittelalterlichen Geschichtsfälschern mit ausgedachten Ereignissen angefüllt worden.

Illigs Theorie stützte sich ursprünglich auf den Umstand, dass es aus den von ihm angezweifelten Jahrhunderten nur wenige erhaltene Bauten oder archäologische Funde gibt. Speziell aus der Blütezeit Karls Großen gebe es kaum belegte Spuren: "Karl der Große kommt wie ein Blitz aus der Dunkelheit und er hinterlässt die gleiche Dunkelheit wie vorher." So könne die Kuppel über dem Oktogon des Aachener Doms unmöglich schon im 8. Jahrhundert errichtet worden sein, da deutsche Baumeister erst ab dem 11. oder 12. Jahrhundert die Kenntnisse besessen hätten, um die dortige Eisenring-Verankerung zu schmieden, sagt der Historiker. "Den Karolingern wird keine weitere Kuppel mehr zugeschrieben." Die Ingelheimer Kaiserpfalz hält er hingegen für Überreste der Römerzeit. Warum und von wem erfundene Jahrhunderte in die Geschichtsschreibung eingeführt worden sein könnten, dafür hat Illig mehrere Hypothesen: Der römisch-deutsche Kaiser Otto III. und Papst Silvester II. könnten ein Interesse daran gehabt haben, die Zeitrechnung zu manipulieren, um so das Jahr 1000 und die erwartete Wiederkunft Christi zu erleben.

Die anerkannte Geschichtswissenschaft hält von den Thesen des Publizisten allerdings nichts. Für Mitteleuropa existiere eine durchgehende Jahresringchronologie, aufgestellt mit Hilfe der Jahresringe von Hölzern, die mehrere Jahrtausende umfasst und keine Lücken kennt. Illig wird auch vorgeworfen, historische Quellen zu ignorieren, die nicht zu seiner Theorie passen. Zudem gilt es als schwer vorstellbar, dass auch in der Geschichtsschreibung außereuropäischer Kulturen eine 300-jährige Lücke gestopft wurde. Der Aufwand wäre riesengroß gewesen. Auch weil historische Pergamente hätten gefälscht werden müssen.

Dass bei der heute üblichen Zeitrechnung alles mit rechten Dingen zugeht, ist aber schwerer zu beweisen als erwartet werden könnte. Der Gedanke, die Geburt Jesu anstelle der Regierungszeiten von Königen oder der Gründung Roms zum Ausgangspunkt der Zeitrechnung zu machen, setzte sich in Europa nur langsam durch. Lange herrschte auf dem Kontinent ein heilloses Durcheinander verschiedenen Rechenmethoden und Kalendersysteme. Außerdem gilt es als sicher, dass Historiker und Herrschende Geschichte aus Propagandagründen bewusst fälschen ließen. Geschichtsschreiber versuchten beispielsweise, die Geburt oder den Tod eines Königs mit Himmelsphänomenen in Verbindung zu bringen, und datierten solche Ereignisse kurzerhand um. Für den Astronomen Dieter B. Hermann gibt es dennoch keine Zweifel, dass die Anhänger der Fantomzeitthese irren: "Illigs Erklärung für die zweifellos existierenden Ungereimtheiten ist die unwahrscheinlichste von allen."

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