In der Spelunke, wo du geborgen warst

Saarbrücken · 2009 kehrte der Amerikanist Klaus Martens der Saarbrücker Uni den Rücken, die Überregulierung der Lehre misshagte dem Emeritierten immer mehr. Nicht erst seither widmet er sich dem Dichten. „Atemholen“, ein neuer Gedichtband, der Martens' lyrische Vielseitigkeit zeigt, bündelt Gedichte aus drei Jahrzehnten.

 Atemholer Martens. Foto: Martens

Atemholer Martens. Foto: Martens

Foto: Martens

Atemholen, das meint innehalten. Und erinnert zugleich an das Selbstverständlichste, ohne das alles nichts wäre: Dass man das Außen in sich aufnimmt, es einlässt, inhaliert. Ein Gedichtband, der "Atemholen" überschrieben ist, steckt diesen weiten Horizont zwischen Innerlichkeit, Aneignung und Austausch unweigerlich ab.

Der in Saarbrücken lebende Dichter Klaus Martens, der hier zwischen 1989 und 2009 Amerikanistik lehrte und sich als Übersetzer von Derek Walcott, Charles Simic oder Dylan Thomas einen Namen gemacht hat, breitet in einem neuen Gedichtband einen Querschnitt seines lyrischen Schaffens aus drei Jahrzehnten aus. Während Martens als Literaturwissenschaftler (insbesondere durch seine bahnbrechende Studie zu dem Flaubert- und Gide-Übersetzer Felix Paul Greve, dessen kanadische Doppelexistenz als Frederick Philip Grove Martens ans Licht brachte) und Übersetzer einige Anerkennung fand, ist er als Lyriker bis heute nur Wenigen ein Begriff. Dabei zeigt "Atemholen", der neue Band, einmal mehr sein Talent.

Martens, mittlerweile 72, ist weit mehr als ein Gelegenheitsdichter, zu fein gewirkt und rhythmisch wohlgesetzt sind viele Verse. Sie offenbaren, dass hier jemand Erinnerungen lange genug geübt hat, um deren je tiefste Spur zu erkennen, und er viele Farben im Mantel trägt, wie es im Titelgedicht heißt. Martens' lyrisches Ich hält dabei auch dem etwas abgedroschenen "Blick auf die verdorrten Strünke unausgelebter Träume" stand; er weiß um die falschen Träume der Kommerz-Er gebenen, "die uns ans Messer liefern/ und in die Hände der Inkassofirma".

Doch blickt er nicht minder kritisch auf sein eigenes "altes Ich" zurück: "Wer hat das geschrieben,/ wer hat so lange/ mit angehaltenem Atem/ gelebt - die Bilder des Wartens,/ der verstopften Münder,/ der Kälteinseln, des Kreisverkehrs - / wie war das geschehen? Warst/ du das wirklich, bei halb/ abgeschaltetem Bewusstsein, / der sich tastend durch seine Leben/ bewegte und Bilder fand/ für seine endlose Abgeschiedenheit,/ eine gefangene Geisel im Kerker/ gedämpfter Gefühle - / das bist du wohl gewesen,/ ein unfreier Brief an die Welt,/ die ihn las und sich abwandte." Nicht alle Gedichte fügen sich so konsistent wie dieses zum bernsteinfarbenen Ganzen.

Immer dann etwa, wenn Martens allzu direkt über das Leben räsoniert, verlieren seine Gedichte sogleich an Haltbarkeit. Auch jenen schnoddrigen Ton, den er bisweilen anschlägt ("Base-Jumping, Freihandklettern/ und so weiter stehen nicht/ in meinen Sternen - hab einfach/ zu viel Schiss dafür, neuerdings") verbindet man nicht mit den gültigen Poemen dieses ton- und formvariablen Dichters. Martens findet - um einen seiner Verse abzuwandeln - immer dann "unheimlichen Zugriff" auf den Zeitblock seines Lebens, wenn er Vordergründigkeiten meidet.

Thematisch spannt er einen weiten Fächer auf: Unbeschwerte Kindheitserinnerungen ("Sand") stehen neben Selbstvergewisserungen ("Katabasis"/,,Un-Poetik"); missglückte ("Was Herbst heißt"/,,Vom Schneemann") neben trefflichen Naturgedichten ("Schöne Tage"); Kluges und Lebensweises ("Liebesmitte", "Ein Kenner") neben politischen Zeitbildern ("Entdeckung der Masken", "Woher ich bin").

Es spricht für den Lyriker Martens, das er sich nicht in eine Schublade stecken lässt und er andererseits nicht meint, zu allem etwas sagen zu müssen. Mit Worten kämpft er allenthalben gegen Flachheit und Abstumpfung. Er trotzt der Selbstvergessenheit und deren Waffen: "die Wiederholung,/ die Gewohnheit, der tödliche Ablauf" ("Ein Guerillakämpfer"). Ein Höhlenforscher ist dieser Martens, der weiß, dass man lange graben muss, um das Ich und seine Empfindungswerkzeuge wieder freizulegen. Wie heißt es in einem der schönsten Gedichte ("Speleologe")? "Doch irgendwann/ wird Licht hineingetragen, wird Verstecktes/ aus dir heraus gegraben, gedreht und untersucht,/ geflickt oder so belassen, wie es ist, dort drinnen,/ in der Spelunke, wo du geborgen warst."

Klaus Martens: Atemholen. Neue und ältere Gedichte 1984-2015, Pop Verlag, 268 Seiten, 19,90 €.

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