Saarbrücker Staatstheater Eine Oper im Biergarten

Saarbrücken · Lorenzo Fioroni ist an europäischen Theatern sehr gefragt. Jetzt inszeniert er in Saarbrücken „Der Sturm“ nach Shakespeare.

 Frank Martins „Der Sturm“ (1956) wurde kaum gespielt. Am Samstag hat die Oper im Staatstheater Premiere. Hier eine Proben-Szene mit Carmen Seibel (Miranda), Peter Schöne (Prospero) und Roman Payer (Ferdinand).

Frank Martins „Der Sturm“ (1956) wurde kaum gespielt. Am Samstag hat die Oper im Staatstheater Premiere. Hier eine Proben-Szene mit Carmen Seibel (Miranda), Peter Schöne (Prospero) und Roman Payer (Ferdinand).

Foto: Martin Kaufhold

Dreißig Minuten. Dann rief Lorenzo Fioroni (45) den Saarbrücker Intendanten zurück und sagte Ja. Keine Selbstverständlichkeit für einen, der seit Jahren einen so guten Lauf hat, regelmäßig Anrufe von der Deutschen Oper Berlin erhält und von Kritikern öfter mal auf die Wettbewerbsliste für den Titel „Bester Opernregisseur des Jahres“ gesetzt wird. Aber nein, sagt Lorenzo Fioroni (45) am Rande einer Probe im Saarbrücker Staatstheater, er sei kein Karriere-Stratege, der kleinere Häuser beim Treppchen-nach-oben-Springen grundsätzlich meide: „An den großen Bühnen ist es nicht prinzipiell besser, eher wie in einer Fabrik. An kleineren Theatern spürt man den Geist eines Hauses, der eine Produktion dann oft nach vorne bringt.“

Für die Zusage in Saarbrücken waren freilich Zauberkräfte mit verantwortlich. Nicht die naheliegenden inhaltlichen, geht es doch im „Sturm“ um eine Zauberinsel. Der Schweizer Frank Martin (1890-1974) hat 1956 aus Shakespeares Stoff eine Literaturoper gemacht, eine nahezu wortwörtliche Vertonung. Das Staatstheater beschreibt seine Komposition als Mix aus Spätromantik und Moderne, aus Wagner, Debussy, Gershwin und Britten – „verzauberte Musik eben“. So blumig formuliert Fioroni grundsätzlich nicht. Er sagt: „Meine Inspirationen entzünden sich immer zunächst mal an der Musik, nicht am Inhalt.“

Natürlich reizte den gebürtigen Schweizer, dass er in Saarbrücken eine kaum je aufgeführte Rarität womöglich repertoirefähig machen könnte, wie es ihm in Graz gelang, mit Martins „Die Griechische Passion“. Sowas bringt im ausgrabungshungrigen Betrieb automatisch Aufmerkamkeit und Renommee. Doch die Zaubermacht, die Fioroni zur Zusage bewegte, das war die 30-minütige Hörprobe des „Sturms“, die er sich sofort nach der Busse-Anfrage gönnte. Die Musik, die er erstmals hörte, überzeugte Fioroni durch eine auffallende stilistische Vielfalt zwischen Debussy und Jazz. Ganz fremd war ihm der in Deutschland nahezu unbekannte Komponist Martin jedoch nicht. Fioroni kannte wenige Stücke des Landsmanns aus seiner Zeit als Cellist – die Ausbildung zum Musiker kam vor dem Regieführen. Wobei der Debussy-Anteil in der „Sturm“-Partitur wohl die größte Verführungskraft hatte, weil Fioroni ein ausgesprochener Debussy-Fan ist. „Pelléas et Mélisande“ (1902) ist seine Lieblingsoper. Das Sphärisch-Entrückte liegt ihm offensichtlich.

Und dann das: Ein Biergarten auf der Bühne des Großen Hauses samt nicht mehr ganz nüchternen Kerlen, in der Unterwelt lagert bergeweise Müll in Plastiksäcken. So sieht das Setting aus (Bühne: Ralf Käselau). Die Fantasie-Szenerie wird hart geerdet und zeitlich in der Moderne festgezurrt, Martins Text-Übertragung auf rund zwei Stunden gekürzt. Die Handlung? Es geht um den zusammen mit Töchterchen Miranda ins Exil gemobbten und entmachteten Herzog Prospero, der auf seiner Fluchtinsel über Luftgeister gebietet. Der mächtigste heißt Ariel und ist ein eifriger Kuppler, aber der Bräutigam soll der Sohn von Prosperos Erzfeind Antonio sein. Auf zwei Inhalts-Stränge hat sich Fioroni konzentriert, auf Shakespeares Grundthema Verrätertum: „Der Mensch als des Menschen Teufel“. Wie auch auf die Eltern-Kind-Problematik: „Prospero macht eine typische Erfahrung: Seine Tochter entgleitet ihm. Es geht im „Sturm“ auch ums Älterwerden und darum, Macht und Kontrolle zu verlieren.“

Ästhetisch gesehen sieht Fioroni die Inszenierung auf dem Feld eines Hyperrealismus, der seine Künstlichkeit nie verleugnet. Er möchte eine surreale Atmosphäre erzeugen: „Die vermeintlich reale Szene hat doppelten Boden. Es gibt Bilder, die sich wie in einer Dauerschleife wiederholen.“ Und es wird einen Geisterball geben, als tauche die Titanic wieder auf. Klingt eigenwillig und recht komplex und damit just so, wie die Kritiker Fioronis Inszenierungen beschreiben: als bildstark und intelligent verschachtelt.

Studiert hat der Schweizer bei einem großen Alten des Fachs, bei Götz Friedrich in Hamburg, und sein Handwerk gelernt hat er bei Ruth Berghaus, die das Musiktheater mit ihren Gesamtkunstwerken umkrempelte wie kein(e) zweite(r). Von Berghaus übernahm Fioroni die genaue Stück-Erforschung und den Mut, stückimmanente Widersprüche nicht zuzuschütten. Nicht alles lasse sich erklären. Fioroni: „Eine Idee finden ist das Einfachste. Aber ihr auf der Bühne zur Wirksamkeit zu verhelfen, das ist die eigentliche Aufgabe.“ Die Fioroni in den Augen des Saarbrücker Theaterchefs „begeisternd“ erfüllt.

Zu gleich drei Fioroni-Inszenierungen reiste der neue Saarbrücker Intendant Bodo Busse noch in seiner Coburger Zeit, warf die Angel aus. Übrigens nach einem Mann, der auch schon eine respektable Wagner-Erfahrung hat. Für Kassel realisierte Fioroni einen Wagner-Zyklus. Busse hat einen Saarbrücker „Ring“ vor. Gelingt der „Sturm“, liegt Fioronis Hut wohl sicher im Ring.

Premiere ist am Samstag, 19.30 Uhr, Großes Haus. Karten gibt es unter: Tel. (06 81) 30 92 486.

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