Flashmob der Künstlergruppe „Urbanauten“ Wenn der Schwarm die Brücke sperrt

Saarbrücken · Hunderte Menschen nahmen am Samstag an Flashmobs der Künstlergruppe „Urbanauten“ in der Saarbrücker Innenstadt teil. Die Aktionen unter dem Motto „Ich springe aus der Kutte“ nahmen Bezug auf Luther und das Reformationsjubiläum.

 In kürzester Zeit sperrten die Flashmob-Teilnehmer die Wilhelm-Heinrich-Brücke in Saarbrücken. Der Verkehr stand still. Das erzwungene Innehalten passte nicht allen, einige Autofahrer reagierten verärgert. Fotos: Silvia Buss

In kürzester Zeit sperrten die Flashmob-Teilnehmer die Wilhelm-Heinrich-Brücke in Saarbrücken. Der Verkehr stand still. Das erzwungene Innehalten passte nicht allen, einige Autofahrer reagierten verärgert. Fotos: Silvia Buss

Rund 50 Leute drängen in die Saarbrücker Hochschule für Musik hinein, vorbei an erstaunten Studenten, um sich im abgedunkelten Konzertsaal auf den Boden zu setzen. Handys piepsen und blinken reihenweise. Alle erhalten die gleiche SMS-Nachricht. In sich gehen sollen sie, sich fragen, was sie verunsichert, wem sie Vorbild sind. Auch "Augen schließen" fordert der Absender #luthersayz auf. Was hier los ist? Diese Frage stellen sich an diesem Samstagnachmittag viele Saarbrücker, die diese Gruppe durch die Stadt stürmen und seltsame Dinge tun sehen.

Einen "Urbanen Schwarm" nennt die Münchner Künstlergruppe "Urbanauten" ihre Mitmach-Aktion, die sich als eine Art SMS-gestützter Pfadfinder-Ausflug entpuppt, mit Happenings und Flashmobs in Serie. Eingeladen dazu hatten die Evangelischen Kirchenkreise an der Saar und sich dazu Partner wie das Staatstheater und die Hochschulen für Bildende Künste und Musik (HfM) ins Boot geholt. Anlässlich des Reformationsjubiläums wollte die Kirche mit diesem Format im öffentlichen Raum unter dem Motto "Ich spring aus der Kutte" neue Wege beschreiten.

Auch wenn der Bezug zu Luther und der Reformation sich den Teilnehmenden in den Aktionen nicht immer erschloss, muss man doch feststellen: Die Kirche hat sich was getraut! Nicht nur für die zufälligen Passanten machten die Urbanauten die Sache spannend, auch für teilnehmende Frauen, Männer und Kinder. Niemand wusste was auf dem zweistündigen Parcours als nächstes bevorstand. Neue Aktions-Anweisungen erteilte ihnen alle paar Minuten ein gewisser #luthersayz" per SMS, Twitter oder Facebook auf ihr Smartphone. Die waren launig, aber nicht immer ganz brav. Von der HfM hieß es zunächst, durch die Tiefgarage und den Bühneneingang ins Mittelfoyer des Staatstheaters flitzen. Dort hielt ihnen Urbanauten-Spielleiter Benjamin David als Professor verkleidet einen Lichtbild-Vortrag über die NS-Geschichte des Hauses, die Gefahren von ,,fake news" und darüber, dass der "Schwarm" auch dem Falschen folgen kann. Dann galt es, sich ein Stück Farbkreide zu schnappen und zum St. Johanner Markt zu eilen. Erst an Ort und Stelle erfuhr die Gruppe, zu welchem Zweck: Vor dem Kabinett Antik, dessen Inhaber mit Nazi-Devotionalien handele und als AfD-Abgeordner im Landtag sitze, sollten sie "Zeichen setzen" und Pflastersteine bunt (statt braun) bemalen.

Hier zeigt sich die Ambivalenz des Konzepts: Man folgt den Anweisungen, ohne sie zu diskutieren oder zu hinterfragen. Alle malen munter mit. Die Stimmung steigt, die Gruppe wird größer. Gemeinsam traut man sich eben Dinge zu tun, die man allein nie wagen würde: So auch die Parkhausauffahrt zwischen den fahrenden Autos hochzulaufen, um vom Parkdeck auf den Rabbiner-Rülf-Platz zu schauen. Nur wer es weiß, sinniert dabei vielleicht über Luthers antisemitische Ausfälle. Als wahrhaft tollkühn subversiv erweist sich die nächste Aktion. Auf der Wilhelm-Heinrich-Brücke packen die Urbanauten Rollen mit rot-weißen Absperrbändern aus. "Tape Mob", heißt die Parole. Im Nu ist die Brücke mit zig Flatterbändern überspannt und der Verkehr stillgelegt. Einigen Autofahrern platzt fast der Kragen. Fußgänger stutzen und klettern dann lächelnd durch das Bändermeer. "Keine Sorge, alles genehmigt", simst #luthersayz. Nach wenigen Minuten ist vom Schwarm und seinen Bändern keine Spur mehr zu sehen.

 Auch Luther musste Federn lassen: Kissenschlacht vor der Ludwigskirche.

Auch Luther musste Federn lassen: Kissenschlacht vor der Ludwigskirche.

Sie sind schon an der letzten Station, vor der Ludwigskirche, wo sie sich eine wilde Kissenschlacht liefern, bis alle Daunen am Boden liegen wie Schnee. Jetzt springt Kirchenrat Frank-Matthias Hofmann aus seiner braunen Lutherkutte und rennt voran zum Stehempfang in der Kunsthochschule. Bereit, noch einige Erklärungen zu den Bildern abzugeben. "Auch Luther musste in seinem Leben Federn lassen, niemand kommt mit seinem Federkleid unbeschadet durchs Leben", interpretiert er die Kissenschlacht. Auch wenn man's nicht weiß: Spaß gemacht, das beweisen die fröhlichen Gesichter, haben die Abenteuer im öffentlichen Raum auf jeden Fall.

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