Premiere in der Saarbrücker Feuerwache Abrechnungen im Liebeslabor

Saarbrücken · Reinste Schauspiellust: Die Marivaux-Komödie „Der Streit“ überzeugt in Saarbrückens Alter Feuerwache.

 Bete mich an, sonst hab’ ich genug von dir: Szene mit Eglé (Raimund Widra, rechts) und Adine (Michael Wischniowski).

Bete mich an, sonst hab’ ich genug von dir: Szene mit Eglé (Raimund Widra, rechts) und Adine (Michael Wischniowski).

Um Liebe nicht erkalten zu lassen, muss man sie immer neu entfachen. Wie das geht, wusste Pierre Carlet de Marivaux nur allzu genau: durch Entzug. „Sie müssen sich von Zeit zu Zeit das Vergnügen versagen, einander zu sehen“, rät die Erzieherin Carise in Marivaux’ 1744 erschienener, erschreckend moderner Komödie „La dispute“ („Der Streit“) den Probanden im darin eingerichteten Liebeslabor. Um herauszufinden, wer für das Unglück in der Liebe verantwortlich ist (Männer oder Frauen?) machte der Vater des Prinzen vor Jahren einen Menschenzoo auf und ließ vier Kleinkinder, ohne Kontakt zu Ihresgleichen jede(r) völlig isoliert, unter Obhut zweier Erzieher erwachsen werden. Nun sollen sie, wie einst Adam und Eva, aufeinander losgelassen werden. Dann wird man sehen, wer Untreue, Eifer- und Selbst-Sucht in die Welt bringt. Wird man?

Am Ende der am Samstag in der Alten Feuerwache frenetisch gefeierten Saarbrücker Premiere von „Der Streit“ sind wir, diese Frage betreffend, zwar nicht wirklich schlauer geworden. Dafür hat man sich knapp zwei Stunden lang zumeist königlich amüsiert. Regisseur Matthias Rippert macht aus Marivaux’ Komödie ein Stück Trash vom Feinsten. Das funktioniert – weitgehend, der Abend hat auch ein paar Längen und Schwächen – deshalb so gut, weil die Regie das Ensemble von der Leine lässt und so enorme Spiellaune aus ihm herauskitzelt. Auch wenn alle ihre Sache unterm Strich gut machen, zwei schießen situationskomisch dann doch den Vogel ab: Wie Thorsten Loeb den tumben Erzieher Mesrou den ganzen Abend in Aberhundert Varianten nur „Ja“ und „Mmhh“ sagen (und dazu die Perücke schaukeln) lässt, das ist im tiefsten Ernst aller Albernheit zum Prusten. Wie auf den Leib geschnitten ist dazu Raimund Widra die Rolle des ebenso selbstsüchtigen wie erbärmlichen Eglé, neben Azor (Barbara Krzoska), Adine (Michael Wischniowski) und Mesrin (Lisa Schwindling) eines der vier Versuchskaninchen.

Widra vermag, so wie mancher auf jeder Glatze eine Locke drehen kann, aus allem eine Lachnummer zu mache. Egal, ob er seine gesichtsmuskelgymnastisch unschlagbare Visage nun in einen verzerrenden Spiegel hält, dessen Abbilder zur Rechten in Großaufnahme auf die Bühne projiziert werden. Oder wenn er als weinerlicher Waschlappen seinen beiden Erziehern Carise (Martina Struppek) und Mesrou (Loeb) in einer köstlichen Psychositzung-Persiflage gegenüberhockt. Marivaux’ Stück lässt das vermeintliche Naturzustand-Experiment nach hinten losgehen: Die vier Unbedarften sind auch nicht besser und reiner als unsereiner. Kaum gibt man ihnen ein Handy (im französischen Original war’s ein Porträt des Objekts der Begierde), daddeln sie drauflos und erliegen dessen Reizen wie zuvor denen der/des Angebeten. Und auch bei ihnen ist, wie im echten Leben, schnell Berechnung und Rachelust mit im Liebesspiel. Da hilft es auch nichts, dass Carise und Mesrou sie umpolen: Dass sie Eglé und Adine zu Frauen deklarieren (und Azor und Mesrin zu Männern), treibt die Absurditäten nur auf die Spitze. Zumal wir ja unverkennbar sehen, wer hier tatsächlich wer ist. Das klingt nach Holzhammer, kommt aber ohne aus. Vielmehr überwiegt ein sehr nuanciertes Spiel. Mit viel Raum für ausgedehnte, stumme Passagen.

Überhaupt wirkt das ganze Bühnen-Setting wie aus einem Guss. Aus guten Gründen hat Matthias Rippert, der in der Spielzeit 2017/18 in der Feuerwache bereits eine in jeder Hinsicht bezwingende Jelinek-Fassung („Das Licht im Kasten“) herausgebracht hat, für seinen Marivaux mit Fabian Liszt (Bühnenbild), Johanna Lakner (Kostüme) und Robert Pawliczek (Musik) wieder auf dieselbe Inszenierungscrew vertraut. Liszt hat zur Linken einen in gleißendes Licht getauchten Bühnenkäfig aufgebaut, hinter dem ein an „Raumschiff Enterprise“ erinnernder, auf- und zugehender Fahrstuhl jeweils die einzelnen Szenen samt Personal ausspuckt. Lakner hüllt das Ensemble in Science-Fiction mit Rokoko paarende Kostüme und Perücken. Und Pawliczek grundiert das verhalten mit Musik-Schnipseln, die von Easy Listening über Miles Davis („Ascenseur pour l’échafaud“) bis zu lässigen Drums reichen.

 Wenn dieser stürmisch beklatschte Abend dennoch nicht restlos überzeugt, dann, weil er die Hintergründigkeiten des Originaltextes eher links liegen lässt. Carises Schlüsselsatz „Sie müssen auf die Freude verzichten und den Schmerz in Kauf nehmen, den Schmerz“ etwa geht unter. Genauso wie der Schlussmonolog Mesrous, der ein idealistisches Liebesmodell (eine Melange aus Genüg- und Achtsamkeit) aufscheinen lässt. Verblasst er doch völlig gegenüber dem, was Rippert diesem Finale als eigene Zutat voranstellt: eine furiose Paar-Abrechnung des Prinzen (Philipp Weigand) und seiner Geliebten Hermiane (Juliane Lang), die wie wir alles mit angesehen haben. Dabei erfahren wir dann en passant doch noch, warum es mit der Liebe heute oft nichts wird. Weil sie (oder er) will, „dass du weißt, was ich möchte, bevor ich überhaupt selbst weiß, was ich möchte“.

Wieder am 6., 14., 18., 29. und 30. November. Karten unter: Tel. (06 81) 30 92 486.

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