Strafzölle Europa in der Dumping-Zwickmühle

Saarbrücken · Weil China die EU vor der WTO verklagt hat, können die Europäer derzeit kein rechtssicheres Antidumping-Regelwerk verabschieden.

 Professor Marc Bungenberg ist Direktor des Europa-Instituts an der Saar-Universität. Er ist Experte für internationales Wirtschaftsrecht.

Professor Marc Bungenberg ist Direktor des Europa-Instituts an der Saar-Universität. Er ist Experte für internationales Wirtschaftsrecht.

Foto: Iris Maria Maurer

Die Liste der Antidumping-Zölle gegen Billigstahl-Importe aus China wird allmählich länger. Neben Flachstahl-Erzeugnissen, die schon seit geraumer Zeit mit Strafzöllen belegt sind, hat die EU-Kommission jetzt auch Preisaufschläge für Grobbleche beschlossen, die bis 2022 gültig sein sollen und damit unter anderem dem saarländischen Grobblech-Produzenten Dillinger Hütte das Leben erleichtern könnten. Die Höhe dieser Zölle liegt in der Spitze bei knapp 74 Prozent, wie aus der jüngsten Antidumping-Länderliste des Bundeswirtschaftsministeriums hervorgeht. Für korrosionsbeständigen Stahl sollen demnächst ebenfalls Zölle beschlossen werden, die bei knapp 29 Prozent liegen sollen. Es ist geplant, diese Preisaufschläge ab Mitte 2018 zu erheben.

Ist also alles in Butter und kann bei chinesischem Billigstahl Entwarnung gegeben werden? So optimistisch ist Professor Marc Bungenberg, Direktor des Europa-Instituts an der Universität des Saarlandes, nicht. „Immerhin beweist die EU damit, dass sie handlungsfähig ist und dies auch in Zukunft bleiben will.“ Denn zwischen der EU und China schwelt immer noch der Streit darüber, ob die chinesische Wirtschaftsordnung mittlerweile so organisiert ist, dass ihr der Status einer Marktwirtschaft anerkannt wird oder nicht (siehe Info). Dieser Status war China nach dessen Auffassung bei seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember 2001 versprochen worden. Nach 15 Jahren sollte es soweit sein. Als die Frist am 11. Dezember 2016 abgelaufen war, verweigerten die EU und die USA die Anerkennung. Vor allem die EU fürchtete, dass es dann schwieriger würde, Anti-Dumping-Zölle auf chinesische Produkte erheben zu dürfen.

„Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun“, sagt Bungenberg, dessen Arbeits- und Forschungsschwerpunkte im europäischen und internationalen Wirtschaftsrecht liegen. „Die Europäer und die Amerikaner hätten China als Marktwirtschaft anerkennen können – was es allerdings nicht ist –, ohne die Berechnungsmethoden für Antidumping-Maßnahmen ändern zu müssen“, ist er überzeugt. Andere Länder wie Australien, Brasilien oder Südafrika hätten diesen Weg gewählt. „Sie taten China den Gefallen, änderten an ihrer Strafzoll-Politik allerdings nichts.“

Jetzt richtet sich der Zorn Chi­nas ausschließlich gegen die EU und die USA. Schon einen Tag nach Ablauf der 15-Jahres-Frist – am 12. Dezember 2016 – hat die Volksrepublik die Europäer und US-Amerikaner „wegen ihres Antidumping-Rechts bei der WTO verklagt“, erinnert der Saarbrücker Hochschullehrer. Ein solches Verfahren könne sich über mehrere Jahre hinziehen. Es hindere die Europäer aber nicht daran, ein neues Antidumping-Regelwerk zu erarbeiten, das wasserdicht ist, und das dann auch als bindende Verordnung verabschiedet werden könnte. Dabei sei Europa auf einem guten Weg. Derzeit würde ein Maßnahme-Katalog zwischen der Kommission, dem EU-Parlament und dem Rat abgestimmt, „bei dem man China zwar entgegenkommt, dem Land aber auch seine Grenzen aufzeigen kann“. Damit wird ein Kommissionsvorschlag vom November 2016 überarbeitet. Dieser hatte den Nachteil, „dass er für die europäische Industrie eine Verschlechterung gegenüber der derzeitigen Rechtslage bedeuten würde“. Daher habe vor allem das Parlament eine Nachbesserung verlangt.

Das Problem sei jedoch, „dass die EU zunächst den Schiedsspruch der WTO abwarten muss, um sicher zu sein, „dass die Regelungen, die jetzt erarbeitet werden, vor der WTO Bestand haben“, sagt Bungenberg. Bis dahin könnte die EU allerdings mit den Antidumping-Instrumenten arbeiten, „die es bereits gibt“. Ein Trost sei, „dass einmal beschlossene Strafzölle nicht im Nachhinein wieder für nichtig erklärt werden können“. Neu eingeführte Mechanismen „gelten nur für künftige Verfahren“. Normal würden diese Zölle für einen Zeitraum von fünf Jahren festgelegt.

Bungenberg rechnet damit, dass China zwar keine harten handelspolitischen Gegenmaßnahmen in die Wege leitet, um zu vermeiden, dass der Konflikt weiter angeheizt wird. „Einige Nadelstiche sind aber zu erwarten.“ So geht er davon aus, dass das von den Europäern sehnlich erwünschte Investitionsschutz-Abkommen von den Chinesen auf die lange Bank geschoben wird. Es soll den Europäern zusichern, dass sie ohne hohe bürokratischen Hürden chinesische Firmen kaufen oder Betriebe errichten können und solche Auslandsinvestitionen umfassenden Schutz durch internationale Standards und Schiedsgerichte genießen. Positiv bewertet der Handelsrechts-Experte, dass China den Streit vor die WTO getragen hat: „Damit erkennt die Volksrepublik die bestehende Handelsordnung an.“

Dies könne man von den US-Amerikanern „derzeit allerdings nicht behaupten“. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump „geht bei der Akzeptanz des WTO-Systems an die Grenzen – oder auch darüber hinaus“, kritisiert Bungenberg. Besonders problematisch sieht er die Begründung der US-Regierung bei den Strafzöllen auf europäischen Stahl. Auch die angekündigten Untersuchungen der Schutzzölle aus Gründen der nationalen Sicherheit sieht er kritisch. „Mit einem solchen Totschlag-Argument kann man jedes internationale Handelsabkommen an die Wand fahren.“

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