Krankmeldungen „Dann bleibe ich doch lieber zu Hause“

Idstein · Die Zahl der Krankschreibungen im Berufsleben ist in den vergangenen zehn Jahren um 30 Prozent gestiegen. Ein Grund dafür ist die fehlende Wertschätzung der Arbeitsleistung der Beschäftigten. Das besagt eine aktuelle Studie.

 Die zunehmende Belastung am Arbeitsplatz, vor allem aber die mangelnde Wertschätzung der Arbeitsleistung führen seit Jahren dazu, dass sich immer mehr Beschäftigte krank melden. Lobende Chefs sind offenbar dünn gesät.

Die zunehmende Belastung am Arbeitsplatz, vor allem aber die mangelnde Wertschätzung der Arbeitsleistung führen seit Jahren dazu, dass sich immer mehr Beschäftigte krank melden. Lobende Chefs sind offenbar dünn gesät.

Foto: dpa/Oliver Berg

Die Krankmeldungen in Firmen, Betrieben und Behörden steigen. Nach den Daten des Robert-Koch-Instituts und des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der Krankschreibungen in Deutschland innerhalb der letzten zehn Jahre um rund 30 Prozent erhöht. Im Jahr 2016 war im Durchschnitt jeder Arbeitnehmer 17,5 Tage lang krankgemeldet. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin verursachte das einen Ausfall an Bruttowertschöpfung von 133 Milliarden Euro.

Und dies, obwohl Unternehmen und Krankenkassen im gleichen Jahr die Rekordsumme von knapp 6,5 Milliarden Euro für die betriebliche Gesundheitsförderung ausgegeben und in zahlreiche Maßnahmen wie Gesundheitstage, Fitness- und Entspannungsangebote oder Stressmanagement investiert haben.

Doch die teuren Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung verpuffen nutzlos. Die Krankenstände steigen weiter. Dies geht einher mit einer sinkenden Arbeitszufriedenheit. Das ist die Kernaussage einer aktuellen Studie, die die Hochschule Fresenius vorgelegt hat. Ein Schwerpunkt dieser privaten Hochschule ist der Bereich Gesundheit und Soziales.

„Das Geld für Gesundheitsmaßnahmen hätten sich die Betriebe und Krankenkassen vermutlich sparen können“, sagt die Professorin Dr. Sabine Hammer. Die Sozialforscherin und ihr Team haben gerade eine Untersuchung zum Thema Mitarbeiterzufriedenheit und Krankmeldungen abgeschlossen.

Die Studie zeigt, dass Unzufriedenheit im Beruf besonders im Bereich der Facharbeiter und der Service- und Dienstleistungen auftritt. Deutschlandweit wurden in sechs großen Unternehmen ausführliche Interviews mit 180 Mitarbeitern aus Handwerk, Personentransport, Reinigung und Service geführt.

Hauptursache für die hohen Krankenstände ist nach den Untersuchungsergebnissen der Effizienzdruck, der auf den Unternehmen lastet. Er wird nach unten weitergegeben und damit für den einzelnen Beschäftigten im operativen Bereich besonders spürbar. „Die größte Herausforderung für Betriebe wird unserer Ansicht nach sein, diesen Effizienzdruck so zu kanalisieren, dass die Krankenstände nicht noch weiter steigen beziehungsweise dauerhaft reduziert werden können“, erläutert Hammer.

Die Untersuchung hat ans Licht gebracht, dass Beschäftigte über eine mangelnde Wertschätzung ihrer Arbeitsleistung klagen. „Für unsere Gesprächspartner war entscheidend, dass sie das Gefühl haben, mehr zu leisten als sie zurückbekommen. Diese Wahrnehmung ist wissenschaftlich sehr gut untersucht und erhöht das Risiko, langfristig krank zu werden, erheblich. Die Befragten sind durchaus stolz auf ihre Berufe, trotzdem kämpfen sie mit einer geringen Anerkennung im eigenen Unternehmen und in der Gesellschaft.“

Eine Folge ist, dass betroffene Mitarbeiter nicht nur häufiger krank werden, sondern sich im Falle eines sogenannten indifferenten Gesundheitszustands – es liegt dann keine eindeutige Erkrankung vor – eher dafür entscheiden, zum Arzt zu gehen und sich krankschreiben lassen. „Hier findet eine deutliche Verschiebung statt“, sagt Hammer. Das heißt, Mitarbeiter bleiben in einem solchen Fall lieber zu Hause als zur Arbeit zu gehen.

Können die Wissenschaftler Gegenmaßnahmen benennen, die Unternehmen ergreifen können, um Unzufriedenheit und Krankenstand zu senken? Es fange mit Kleinigkeiten an, sagen die Forscher, um die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen und damit Fehltage zu minimieren. Mitarbeiter fühlen sich wertgeschätzt, wenn sie einen persönlichen Ansprechpartner haben, der gut erreichbar ist, sie mit Namen kennt und regelmäßig Rückmeldungen gibt, die sich allerdings nicht in Floskeln erschöpfen dürfen.

Relativ leicht lassen sich auch Verbesserungen im Arbeitsumfeld umsetzen. Gepflegte Räumlichkeiten, intaktes und neues Arbeitsmaterial und gegebenenfalls eine moderne Berufskleidung nehmen Arbeitnehmer als Wertschätzung wahr. Das Arbeiten in festen und kleinen Teams wirkt sich der Untersuchung zufolge ebenfalls positiv auf die Arbeitsmotivation und die Identifikation mit dem Unternehmen aus.

Bieten Betriebe und Behörden Gesundheitsprogramme an, steigern diese unter Umständen nicht das Wohlbefinden der Angestellten, sondern führen im Gegenteil zu Stress und Unbehagen. „Die von uns untersuchten Gruppen nehmen die betriebliche Gesundheitsförderung sehr häufig als unpassend wahr. Sie empfinden diese teilweise sogar als Bevormundung oder Einmischung des Arbeitgebers“, erläutert Sabine Hammer. „Das lässt sich sogar leicht nachvollziehen, wenn zum Beispiel einem Angestellten, der körperlich hart arbeitet, ein Fitnesstraining als besonderes Angebot angekündigt wird.“

Viel besser auf die Arbeitszufriedenheit und das Betriebsklima wirkten gemeinschaftliche Veranstaltungen. „Eine Weihnachtsfeier oder ein Sommerfest, deren Finanzierung der Arbeitgeber aber unbedingt alleine tragen muss, haben eine wesentlich größere Wirkung als die Gesundheitstage in der Kantine“, sagt Sabine Hammer.

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