Das Handy wird zu Auge und Ohr

Saarbrücken · Heute sind in Deutschland 1,4 Millionen Menschen aufgrund von Schwerhörigkeit oder Sehschwächen von einem Kinobesuch quasi ausgeschlossen. Das wollen die Smartphone-Apps Greta und Starks ändern.

 Mit Milan Peschel in die Therapiesitzung: Einer der Kinofilme, den die Apps Greta und Starks für Blinde und Gehörlose erlebbar machen, ist die Komödie „Irre sind männlich“. Foto: Constantin

Mit Milan Peschel in die Therapiesitzung: Einer der Kinofilme, den die Apps Greta und Starks für Blinde und Gehörlose erlebbar machen, ist die Komödie „Irre sind männlich“. Foto: Constantin

Foto: Constantin

Einfach ins Kino gehen und einen Film genießen, das ist für Menschen, die schwerhörig sind oder schlecht sehen, nicht ohne Weiteres möglich. Bislang waren sie im Kino auf barrierefreie Filmvorführungen angewiesen. Bei solchen Veranstaltungen erhalten blinde Menschen gesprochene Beschreibungen, die die wichtigsten Elemente der Handlung sowie Gestik und Mimik der Figuren erläutern. Für Gehörlose werden Untertitel angezeigt. Doch das Angebot an barrierefreien Kinovorstellungen ist deutschlandweit sehr begrenzt.

Hier kommen die Apps Greta und Starks ins Spiel. Künftig sollen sie blinden und gehörlosen Menschen jederzeit und in jedem Kino ein barrierefreies Filmerlebnis ermöglichen. Während Greta über Kopfhörer Filmbeschreibungen liefert, untertitelt Starks den Film direkt auf dem Smartphone.

Die Initiative zur Entwicklung der Apps ging von der Filmemacherin Seneit Debese aus. 2011 drehte sie eine Reportage über die blinde Läuferin Kidisti Weldemichael. Dabei wurde ihr bewusst, wie wenig attraktiv das Kino für Menschen mit Sehbehinderung ist. Sie beschloss, das zu ändern. 2012 begannen die Planungen, seit Anfang 2014 können Greta und Starks kostenlos im App Store und bei Google Play heruntergeladen werden. "Mit Greta ist Greta Garbo gemeint", erklärt Debese die Namensgebung, "und Starks ist einfach ihr starker Begleiter."

Nach dem Download der Apps können Nutzer aus dem Angebot die Audiodeskriptionen oder Untertitel eines Films herunterladen. Im Kino müssen sie dann den richtigen Film anwählen. Sobald der auf der Leinwand startet, synchronisieren sich die Apps automatisch, so dass die Erklärungen auf dem Smartphone und der Film zusammenpassen. Greta-Nutzer erhalten über Kopfhörer in den Dialogpausen Beschreibungen zur Filmhandlung, Anwender von Starks sehen auf dem Bildschirm ihres Smartphones die Untertitel. Diese enthalten neben den kompletten Filmdialogen Hinweise auf Geräusche oder die musikalische Untermalung einer Szene. Bei der Entwicklung von Starks wurde auf weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund geachtet, um andere Kinobesucher nicht zu stören.

Der 70-jährige gehörlose Bernd Rehling hat Starks bereits zweimal im Kino angewendet und ist vom Resultat und der einfachen Bedienbarkeit begeistert. Er bezeichnet seinen Kinobesuch als "faszinierend und traumhaft" und freut sich schon auf neue Filme. Die Entwickler von Starks arbeiten derweil an einer Optimierung der App. Im Sommer soll eine Datenbrille fertig sein, mit der die Untertitel direkt vors Auge projiziert werden. "Das ist für die Anwender viel komfortabler als die derzeitige Lösung", weiß Debese.

Ähnlich begeistert wie Rehling von Starks zeigt sich Robbie Sandberg vom Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg von Greta: "Greta ist ein Gewinn an Lebensqualität, ein Paradebeispiel dafür, wie das Smartphone das Leben verbessern kann. Zum ersten Mal konnte ich einen Film entspannt genießen, ohne dass mir etwas entging oder ich mit einem Freund flüstern musste, um eine Szene zu begreifen."

Da Greta und Starks offline funktionieren, sind sie auch im Open Air Kino einsatzfähig. Wichtig ist aber, dass Audiodeskription und Untertitel im Vorfeld des Kinobesuchs bei bestehender Internetverbindung heruntergeladen werden. Aktuell gehören allerdings erst neun Filme zum Repertoire von Greta und Starks. Debeses ehrgeiziges Ziel: "In einem halben Jahr wollen wir über 100 Filme anbieten."

gretaundstarks.de

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