Darmspiegelung: Am schlimmsten ist die Angst

Über 60 000 Menschen erkranken in Deutschland jedes Jahr an Darmkrebs. Mediziner werden nicht müde, die Darmspiegelung als das beste Vorsorgeverfahren zu loben. Doch diese Untersuchung, die viele Leben retten könnte, ist unter Patienten schrecklich unbeliebt.

Ellwangen. "Dem Darmkrebs einen Schritt voraus", lautet der Titel eines Werbetextes zu einem Bluttest, den es seit 2010 deutschlandweit bei Ärzten und Heilpraktikern gibt. Weitere Blut- und Stuhltests zur Früherkennung von Krebs und dessen Vorstufen sind weltweit in Entwicklung. "Nur leider", erklärt Professor Christian Trautwein, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), "sind alle diese Tests zum jetzigen Zeitpunkt sehr kritisch zu betrachten. Nach wie vor bietet die Koloskopie die höchste Sicherheit und kann als einzige Screening-Methode der Entstehung von Krebs vorbeugen."

Die Koloskopie, bekannter als Darmspiegelung, hat allerdings ein Problem: Sie ist äußerst unpopulär. Auch bei Hanna Ferber (Name geändert), Übersetzerin und Buchautorin aus Ellwangen, genoss diese Vorsorgeuntersuchung nach ihrem 55. Geburtstag nicht gerade höchste Priorität. Ab dem 55. Lebensjahr übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten. Allerdings nimmt nur jeder fünfte Berechtigte in Deutschland dieses Angebot auch in Anspruch. "Und ich war keine Risikopatientin", berichtet Ferber, "hatte keinen Darmkrebs in der Familiengeschichte, kein Übergewicht und rauche nicht."

Doch im Juni 2014 bekam Hanna Ferber plötzlich starke Bauchschmerzen. "Dummerweise bei einem Familienfest", berichtet sie. "So wurde ich von Mann und Kindern dazu verdonnert, zum Facharzt zu gehen." Er riet zur Koloskopie.

Die Vorbereitung empfand die Patientin als lästig. 24 Stunden fasten, am Vorabend und am Morgen davor zwei Liter Abführmittel trinken - "es schmeckte wie übersüßte Limonade, versetzt mit einem Schuss Spülmittel", kommentiert Hanna Ferber. Dann das Warten, bis sich der Darm entleert hat. Und die Sorge: Würde es weh tun? "Die Koloskopie selbst war dann gar nicht besonders unangenehm, auch wegen der Mittel, die man bekommt", erinnert sie sich. Das Koloskop mit seine Kamera hat trotz der komplizierten Technik lediglich einen Durchmesser von zehn Millimetern. Maximal 20 Minuten dauert es, bis der Arzt den Dickdarm und den Eingang des Dünndarms untersucht hat. Der Patient liegt derweil auf der Seite, auf Wunsch im Dämmerschlaf. Hanna Ferber blieb wach. So bekam sie mit, dass ihr Arzt einen Tumor entdeckte. "Er war so groß, dass ich den Befund sofort bekommen habe", erinnert sie sich. "Die pathologische Untersuchung war nur noch Formsache." Die Diagnose lautete: Adenokarzinom am Übergang vom Mast- zum Enddarm . Einen Monat später wurde der Tumor entfernt.

63 000-mal pro Jahr kommt es in Deutschland zur Diagnose Darmkrebs . Die Zahl ist leicht rückläufig, was vermutlich zum Teil den Vorsorgeuntersuchungen zu verdanken ist. Denn häufig finden sich Jahre vor einem Karzinom gutartige Darmpolypen, sogenannte Adenome. Gegen die Spiegelung spricht bei vielen Patienten ein gewisses Peinlichkeitsgefühl, so Trautwein, sowie die Angst vor einer Verletzung. "Da können wir Gastroenterologen noch so sehr betonen, dass die Darmspiegelung sehr sicher ist, Patienten bevorzugen nicht-invasive Screeningmethoden", bedauert der Experte. Doch die haben ihre Grenzen, wie Ferber berichtet: "Ich hatte vor Jahren schon mal einen Stuhltest, der positiv ausfiel." Sie hatte okkultes Blut im Stuhl, wie Adenome oder Karzinome es oft absondern. Allerdings nicht nur die: Bei Frauen vor der Menopause kann die Regelblutung zum positiven Ergebnis führen. Bei Männern und Frauen sind nicht selten Hämorrhoiden schuld daran. Ferbers Hausarzt schickte seine ansonsten symptomfreie Patientin nach Hause.

Das Problem der falsch positiven und der nicht ernst genommenen Stuhltests soll ein neues Verfahren lösen, das in Europa noch nicht verfügbar ist. Es wurde von der US-Arzneimittelbehörde FDA zugelassen, nachdem es in einer Studie umgerechnet neun von zehn Fällen von Darmkrebs und vier von zehn Fällen von Adenomen identifiziert hatte. Das Besondere: Außer nach Blut wird nach Hinweisen auf Mutationen der DNA gefahndet, die auf Polypen und Karzinome hinweisen.

Für Patienten noch angenehmer könnten Bluttests sein, wie sie inzwischen rund um den Globus angeboten werden - die meisten suchen ebenfalls nach bestimmten DNS-Veränderungen. Der in Leipzig entwickelte Test, für den der Slogan "Dem Darmkrebs einen Schritt voraus" wirbt, sucht nach sogenannten polypenspezifischen Polymeren (PSP). Sie seien bereits sichtbar, so die Herstellerfirma, wenn die Adenome noch sehr klein sind. Nach einer Studie aus dem Jahr 2013 identifizierte der Test sieben von zehn Adenomen. Allerdings gab es oft falsch-positive Ergebnisse, so dass alarmierte Patienten zur Darmspiegelung mussten, um dort zu erfahren: alles unauffällig. Inzwischen hat der PSP-Test viel Kritik von Medizinern und anderen Wissenschaftlern geerntet. Nach Angaben des Unternehmens wird das Verfahren nun weiterentwickelt.

Dem Darmkrebs einen Schritt voraus ist Professor Christian Trautwein zufolge nach heutigem Wissensstand allein die sorgfältig durchgeführte Koloskopie zum richtigen Zeitpunkt. Wer in der Familie Fälle von Darmkrebs hat, Blut oder Schleim im Stuhl oder plötzliche, unklare Verdauungsbeschwerden, bekomme die Untersuchung meist lange vor dem 55. Geburtstag von der Krankenkasse finanziert.

Hanna Ferber konzentriert sich ein halbes Jahr nach der Diagnose auf ihre Familie und das Krafttanken für die nächsten Schritte der Therapie. Sie hat Lungenmetastasen. Chemotherapie und möglicherweise eine erneute Operation sollen sie beseitigen. Derweil empfiehlt Ferber allen Altersgenossen: "Geht zur Vorsorge."

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Hintergrund Jährlich erkranken 63 000 Menschen in Deutschland an Darmkrebs , so die Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Das Kolonkarzinom ist die zweithäufigste Krebsart. Da die Krankheit anfangs kaum Symptome verursacht, wird sie oft spät erkannt. Erkenne ein Arzt bei der Koloskopie Darm-Polypen, könne er sie sofort entfernen. PP

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