Von der Agenda ist keine Rede mehr

Berlin · Die SPD will ein neues Arbeitslosengeld Q für alle Altersgruppen. Den Linken ist das zu wenig, der Union zu viel.

Gefühlt ist er überall: Martin Schulz huschte zu Beginn der Sitzung des SPD-Parteivorstands hinter Arbeitsministerin Andrea Nahles (l.) und Familienministerin Manuela Schwesig vorbei. Foto: Nietfeld/dpa

Gefühlt ist er überall: Martin Schulz huschte zu Beginn der Sitzung des SPD-Parteivorstands hinter Arbeitsministerin Andrea Nahles (l.) und Familienministerin Manuela Schwesig vorbei. Foto: Nietfeld/dpa

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Eine kleine Überraschung gab es dann doch noch, als die SPD gestern ihr von Kanzlerkandidat Martin Schulz mit großem Brimborium angekündigtes Konzept für eine Reform der Hartz-Gesetze veröffentlichte: Es geht offiziell gar nicht um ältere Arbeitslose allein. Alle Altersgruppen sollen von dem neuen "Arbeitslosengeld Q" profitieren können. Das Wort "Agenda 2010" taucht nicht mehr auf, geschweige denn das Wort "Korrektur".

Schulz hatte in seiner Rede in Bielefeld, mit der die Debatte vor zwei Wochen anfing, noch das Beispiel eines 50-Jährigen erwähnt, der nun arbeitslos werde und fürchte, in Hartz IV abzurutschen. Im Parteivorstandsbeschluss von gestern, den Sozialministerin Andrea Nahles präsentierte, steht jedoch keine Altersangabe mehr. Und so ist auch die Botschaft jetzt eine andere. Statt die Hartz-Gesetze für Ältere weniger hart zu machen und so die Agenda-Reformen von Ex-Kanzler Gerhard Schröder im Nachhinein zu korrigieren, geht es laut Nahles jetzt einzig um den Fachkräftemangel und die Qualifizierung. Auch einer, der nach 20 oder 30 Jahren arbeitslos werde, müsse sein in der Lehre erworbenes Wissen wieder auffrischen können, um einen neuen Job finden zu können, erläuterte Nahles.

Jeder Arbeitslose soll nach den SPD-Vorstellungen künftig einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung haben und die Arbeitsagentur ihm spätestens nach drei Monaten ein Qualifizierungsangebot machen. Während der Dauer dieser Fortbildung ruht der Bezug von Arbeitslosengeld I. Stattdessen wird das neue "Arbeitslosengeld Q" in gleicher Höhe gezahlt, längstens zwei Jahre. Danach setzt sich der Bezug von Arbeitslosengeld I nach den bisherigen Regeln fort - zwölf Monate bei jüngeren, 15 bis 24 Monate bei Älteren. Über 58-Jährige können so auf eine Überbrückung von insgesamt vier Jahren kommen. Auch die anderen Regelungen gelten für alle Altersgruppen: Arbeitslosengeld I soll es künftig schon geben, wenn innerhalb der letzten drei Jahre zehn Monate gearbeitet wurde (jetzt zwölf Monate in den letzten zwei Jahren). Und das Schonvermögen, das nicht überstiegen werden darf, um Arbeitslosengeld II zu bekommen, soll von 150 auf 300 Euro je Lebensjahr verdoppelt werden. Nahles rechnet mit Kosten von einer Milliarde Euro.

Die Linken griffen das Konzept massiv an. Fraktionschefin Sahra Wagenknecht nannte es "ungenügend" und forderte eine komplette Wiederherstellung einer Arbeitslosenversicherung, "die bei Jobverlust auffängt und nicht abstürzen lässt". Heftige Kritik kam auch von der Union. Das sei ein "gigantisches Frühverrentungsprogramm", sagte der CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs. Nahles meinte dazu, wer die Regelaltersgrenze immer weiter anheben wolle, müsse älteren Arbeitslosen dann auch Qualifizierungsmöglichkeiten bieten. "Wer A sagt, muss auch B sagen."

Unterstützung erhielt sie von den Gewerkschaften. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann meinte, dass mit den Vorschlägen ein Kardinalfehler der Agenda 2010 korrigiert werde. Denn die Menschen seien zu sehr gefordert, aber zu wenig gefördert worden. Der Arbeitgeberverband BDA hingegen äußerte die Befürchtung, dass die Qualifizierungsangebote am Arbeitsmarkt vorbeigehen würden. Es gehe der SPD de facto um eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I. Das sei ein "Rückfall" und eine "falsche Weichenstellung".

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