Hoffen auf die Türkei Idlib zwischen Trotz und Angst

Idlib · In der syrischen Provinz warten Millionen Zivilisten auf die mögliche Großoffensive der Regierung. Sie hoffen auf die türkische Hilfe.

 Syrer protestieren im Nordwesten der Provinz Idlib gegen die Regierung. Sie erwarten eine Großoffensive und hoffen auf die Hilfe der Türkei.

Syrer protestieren im Nordwesten der Provinz Idlib gegen die Regierung. Sie erwarten eine Großoffensive und hoffen auf die Hilfe der Türkei.

Foto: AP/Ugur Can

Abu Ahmed hat den Keller unter seinem Haus in Chan Scheichun in Idlib schon hergerichtet. „Er ist nicht sehr sicher, aber wenigstens wird er uns vor Granatsplittern schützen“, sagt er. Wenn es allerdings richtig losgehe und eine Bombe einschlage, dann sei es halt vorbei. Der Vater von neun Kindern lebt im Süden der letzten großen Rebellenhochburg in Syrien. Wann und ob die syrische Armee mit ihren Verbündeten hier ihre befürchtete Großoffensive startet, weiß er nicht. Den drei Millionen Zivilisten in der Region bleibt die Hoffnung auf eine Lösung in letzter Minute – und die Vorbereitung auf das Schlimmste.

In Idlib droht die womöglich letzte große Schlacht des verheerenden syrischen Bürgerkrieges. Die Provinz im Nordwesten des Landes ist Rückzugsort für Zehntausende Rebellen, darunter auch viele Islamisten und die Miliz Haiat Tahrir al-Scham mit Verbindungen zu Al-Kaida. Nach einer Reihe von Eroberungen in der Vergangenheit will Syriens Präsident Baschar al-Assad auch Idlib zurückerobern. Er hat Truppen zusammengezogen, doch nach schweren Luftangriffen blieb es zuletzt ruhig. Das Schicksal der Provinz entscheidet sich in diesen Tagen.

„Die Lage der Menschen in Idlib ist die Schlimmste seit Beginn der Revolution 2011“, sagt der 28-Jährige Ludschain, der mit seiner Frau und seinem Baby in der gleichnamigen Provinzhauptstadt Idlib lebt. Um das Unheil – erst der Bombenhagel und dann die Bodenoffensive – noch abzuwenden, hofft er auf das Nachbarland Türkei. Ankara tritt als Schutzmacht der Rebellen auf und will eine Offensive mit allen Mitteln verhindern. Diplomatische Versuche scheiterten zuletzt aber.

Es wird befürchtetet, dass Hunderttausende in Richtung der nahen türkischen Grenze drängen könnten. Doch die ist dicht. „Es wäre ein Akt des Verrats, wenn die türkische Regierung die Grenze weiterhin geschlossen halten würde“, sagt Ludschain. Seine Frau und sein Baby wolle er an einem sicheren Ort wissen. „Ich aber werde Idlib verteidigen“ – gegen die Regierung, die Russen und die Iraner.

Er spricht für viele Menschen in der Region. Fast die Hälfte der etwa drei Millionen Zivilisten wurde schon einmal aus anderen Landesteilen von der Regierung verscheucht. Die Armee hat sie nun hier im Nordwesten zusammengetrieben. Doch nach Idlib gibt es keinen anderen letzten Zufluchtsort für Oppositionelle mehr.

Dabei ist die Lage in der Provinz noch relativ gut. Idlib besitzt große landwirtschaftliche Flächen, so dass Menschen wie der Student Ahmed noch alle Nahrungsmittel finden können, die sie fürs Leben brauchen. „Die meisten Menschen sagen, dass sie kein Essen horten“, sagt der 20-Jährige. Es gebe von allem genug. Noch.

„Ich bin gerade vom Markt zurückgekommen“, erzählt auch die Witwe Salwa. Der Mann starb der 45 Jahre alten Frau zufolge 2015 an Herzproblemen, wenige Tage nachdem die syrische Regierung ihn aus einem Gefängnis entlassen habe. Nun hat sie selbst den Tod vor Augen. „Das Echo dieser Schlacht wird noch in der Türkei, in Europa und der ganzen Welt zu hören sein. Wir sind mehr als drei Millionen, wollen die etwa, dass wir abgeschlachtet werden?“

Derweil haben in großen Teilen Syriens die ersten Kommunalwahlen seit Beginn des Bürgerkriegs  stattgefunden. Der Wählerzulauf an den Wahllokalen der Hauptstadt Damaskus war mäßig, und es wurde erwartet, dass Kandidaten, die mit der regierenden Baath-Partei verbündet sind, gewinnen würden. In den von Kurden und Rebellen beherrschten Gebieten wurden keine Wahlen abgehalten. Auch Idlib war von den Wahlen ausgenommen.

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