Pflege-Risiko steigt in Deutschland rapide

Berlin. Das Risiko, im Leben pflegebedürftig zu werden, ist in Deutschland weiter gestiegen. Mittlerweile sind drei von vier Frauen sowie jeder zweite Mann davon betroffen. Das geht aus dem aktuellen Pflegereport der Krankenkasse Barmer GEK hervor, der gestern in Berlin präsentiert wurde

Berlin. Das Risiko, im Leben pflegebedürftig zu werden, ist in Deutschland weiter gestiegen. Mittlerweile sind drei von vier Frauen sowie jeder zweite Mann davon betroffen. Das geht aus dem aktuellen Pflegereport der Krankenkasse Barmer GEK hervor, der gestern in Berlin präsentiert wurde.Deutschlands Pflegeversorgung stehe vor enormen Herausforderungen, erklärte der Vorstandsvize der Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker. Und die aktuellen Daten geben ihm Recht. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Pflegebedürftigen um 330 000 auf 2,34 Millionen gestiegen. Hatten im Jahr 2000 rund 65 Prozent der Frauen und 41 Prozent der Männer vor ihrem Tod staatliche Pflegeleistungen in Anspruch genommen, so sind es heute bereits 72 beziehungsweise 50 Prozent. Ursache ist die wachsende Alterung der Gesellschaft.

Auch die Dauer der Pflegebedürftigkeit nimmt zu. Im Zeitvergleich zwischen 1999 bis 2004 und 2005 bis 2010 haben sich die Jahre in Pflege bei Frauen von 2,49 auf 2,75 erhöht. Bei den Männern stiegen sie von 1,25 auf 1,46 Jahre. Die These, dass die in Pflege verbrachte Zeit gemessen an der Gesamtlebensdauer abnimmt, ist also nicht haltbar. Seit der Jahrtausendwende sind die Jahre in Pflege sogar etwas schneller angestiegen als die persönlichen Lebenszeiten ohne Pflegebedürftigkeit.

"Bei weiterhin steigender Lebenserwartung ist damit zu rechnen, dass sich dieser Trend fortsetzt", erklärte Studien-Autor Heinz Rothgang vom Zentrum für Sozialpolitik an der Uni Bremen. Nach seiner Einschätzung hat die Politik dafür nur unzureichend Vorsorge getroffen. "Die geplanten Leistungsverbesserungen bleiben Stückwerk", kritisierte Rothgang. Gemeint sind die von der Bundesregierung Mitte November beschlossenen Eckpunkte für eine Pflegereform. Dadurch soll sich vor allem die Situation für die mittlerweile rund 1,4 Millionen Demenzkranken verbessern. Bislang zielt die Pflegeversicherung vornehmlich auf körperliche Gebrechen. Zur Finanzierung der neuen Leistungen soll der Pflegebeitrag ab 2013 um 0,1 Prozentpunkte auf 2,05 Prozent steigen.

Statt vorläufige Sonderregelungen speziell für Demenzkranke einzuführen, müsse der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff zügig umgesetzt werden, forderte Rothgang. Dabei bezog er sich auf die Ergebnisse eines schon in Zeiten der großen Koalition eingesetzten Experten-Beirats. Demnach wären Mehrausgaben von rund drei Milliarden Euro fällig. Nur so könnten der bisherige Leistumfang für die körperlich Behinderten und die notwendigen Verbesserungen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen unter einen Hut gebracht werden, erläuterte Rothgang. Dazu müsste der Pflegebeitrag freilich um etwa 0,3 statt nur um 0,1 Prozentpunkte steigen, was Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) glatt ablehnt.

Ein weiterer Kritikpunkt bei der geplanten Reform ist die vorgesehene Einführung einer freiwilligen privaten Zusatz-Pflegeversicherung nach dem Muster der Riester-Rente. Hier bestehe die Gefahr, dass man einen "Riester für Reiche" kreiere, weil sich Geringverdiener die Mehrausgabe nicht leisten könnten, meinte Barmer-GEK-Vize Schlenker. Foto: Stadler/dpa

Meinung

Pflege hat ihren Preis

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

Kein Zweifel, gute Pflege hat ihren Preis. Umfragen belegen, dass die große Mehrheit der Bundesbürger bereit ist, für eine angemessene Betreuung im Alter tiefer in die Tasche zu greifen. Nur die Bundesregierung tut so, als ließen sich die immensen Herausforderungen im Pflegebereich lediglich mit einer schlappen Milliarde Euro extra stemmen. Auf diesen Trugschluss hat der aktuelle Pflege-Report zu Recht hingewiesen. Anstatt ein nachhaltiges Reformkonzept vorzulegen, sucht sich Schwarz-Gelb mit Halbherzigkeiten über die nächste Bundestagswahl zu retten. So richtig akut wird die Finanznot in der Pflegekasse ja auch erst danach. Spätestens 2014 dürfte das Geld nicht einmal mehr reichen, um den jetzigen Leistungsumfang zu finanzieren. Von Leistungsverbesserungen ganz zu schweigen. Bleibt zu hoffen, dass die nächste Bundesregierung mehr Weitblick hat.

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