Interview Achim Truger „Ich war immer Gegner der ‚schwarzen Null’“

Berlin · Der neue „Wirtschaftsweise“ Achim Truger plädiert für schuldenfinanzierte Investitionen und eine Stärkung der Tarifbindung.

 Achim Truger ist einer der fünf „Wirtschaftsweisen“.

Achim Truger ist einer der fünf „Wirtschaftsweisen“.

Foto: picture alliance / SZ Photo/dpa Picture-Alliance / Jens Schicke

Achim Truger (50) ist Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. Im März trat der gebürtige Kölner auf Vorschlag der Gewerkschaften die Nachfolge von Peter Bofinger im Kreis der fünf „Wirtschaftsweisen“ an, einem Gremium, das die Bundesregierung in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen berät. Truger plädiert für deutlich mehr staatliche Investitionen auch unter Inkaufnahme neuer Schulden.

Herr Truger, wie fühlt man sich als „Wirtschaftsweiser“?

TRUGER Sehr gut. Man erweitert seinen Horizont und fühlt sich natürlich auch in seiner öffentlichen Bedeutung aufgewertet.

Die Wirtschaft ist zuletzt nur knapp einer Rezession entkommen. Wie würden Sie den ökonomischen Zustand Deutschlands beschreiben?

TRUGER Nach einem langen Aufschwung ist der Zustand immer noch gut. Wir verzeichnen aber eine zweigeteilte Konjunktur. Das heißt, die Industrie ist in einer Rezession, dafür läuft der Dienstleistungsbereich weiter ziemlich rund. Ich teile die Auffassung der meisten Fachkollegen, dass die Wirtschaft insgesamt von einer tieferen Rezession verschont bleibt und im Laufe des kommenden Jahres wieder Besserung in Sicht ist.

Die SPD fordert einen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde. Würde das der Wirtschaft schaden?

TRUGER Wenn man das mit einem Schlag sofort einführen würde, wäre das nicht ohne Risiken für die Wirtschaft. Man kann aber die Schritte hin zu einem solchen Mindestlohn beschleunigen. Die Mindestlohnkommission hat ja das gemacht, was die Politik vorgegeben hat. Die Arbeitsweise der Kommission ist aber nicht in Stein gemeißelt. Die kann die Politik ändern. Für die gesamte Lohnbildung noch wichtiger als der Mindestlohn ist allerdings die Tarifbindung. Erst wenn die wieder steigt, wird sich auch das allgemeine Lohnniveau spürbar verbessern.

Macht die Bundesregierung wirtschaftspolitisch Fehler?

TRUGER Gut ist vor allem, dass die öffentlichen Investitionen hochgefahren worden sind. Aber das reicht noch nicht. Denn wegen der langjährigen Sparpolitik ist es hier zu erheblichen Defiziten gekommen. Dazu kommen noch die Anforderungen wegen des Klimaschutzes. Auch der erfordert eine erhebliche und vor allem dauerhafte Aufstockung der Investitionen.

Aber das Geld wird bei vielen Programmen schon jetzt nicht abgerufen, weil es an Bau- und Planungskapazitäten mangelt.

TRUGER Sicher könnte man nicht auf einen Schlag 40 Milliarden Euro an Investitionen zusätzlich unterbringen. Es geht vielmehr darum, die Investitionen schrittweise und verlässlich über mindestens zehn Jahre im mittleren zweistelligen Milliardenbereich pro Jahr hochzufahren. Erst wenn das langfristig angekündigt und die Finanzierung klar ist, lohnt es sich auch für Bauunternehmen, ihre Kapazitäten deutlich zu erweitern. Parallel dazu muss dann natürlich auch der Staat seine Planungskapazitäten ausbauen. So können sich alle Beteiligten darauf einstellen.

Soll sich der Staat für Investitionen neu verschulden?

TRUGER Aus meiner Sicht ja. Ich war immer ein Gegner der „schwarzen Null“ und auch der Schuldenbremse im Grundgesetz. Es geht ja um Zukunftsinvestitionen. Infrastruktur, Klimaschutz, um nur zwei Beispiele zu nennen. Davon profitieren zukünftige Generationen. Deshalb ist es nur gerecht, wenn sie über den Schuldendienst auch an der Finanzierung beteiligt werden.

Für eine Änderung der Schuldenregelegung sind aber keine Mehrheiten in Sicht.

TRUGER Der Schuldenbremse unterliegen streng genommen nur die Kernhaushalte. Es besteht deshalb die Möglichkeit, Extrahaushalte in Bund und Ländern zu gründen. Wenn zum Beispiel Universitäten eine Kreditermächtigung bekommen, dann können sie investieren, ohne dabei der Schuldenbremse zu unterliegen, weil sie rechtlich selbstständig sind. Möglich wäre auch die Gründung eines Deutschlandfonds eigens für Investitionen. Auch dafür bräuchte man weder an der Verfassung, noch an der „schwarzen Null“ zu rütteln.

Das wären dann Schattenhaushalte. Ist das nicht Selbstbetrug?

TRUGER Es hat immer Schattenhaushalte und Sondervermögen gegeben. Für Investitionen könnten sie nun wirklich sinnvoll sein.

Fühlen Sie sich mit Ihren Forderungen nicht wie ein einsamer Rufer in der Wüste? Auch unter den „Wirtschaftsweisen“ sind sie damit in der Minderheit.

TRUGER Gemeinsam mit der Wirtschaftsweisen Isabel Schnabel habe ich dazu tatsächlich ein Minderheitsvotum verfasst. Demnach sind wir in dem Gremium also nur eine 40-zu-60-Minderheit. Und vielleicht wird aus dieser Minderheit ja auch noch einmal eine Mehrheit.

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