Ekalation zwischen USA und Türkei Zwei Präsidenten, ein Priester und ein gefährlicher Streit

Istanbul · Der Fall eines in der Türkei inhaftierten Pastors aus den USA führt zur schwersten diplomatischen Krise in der Geschichte der beiden Länder.

 US-Pastor Andrew Brunson sitzt in der Türkei in Haft - wegen Terrorvorwürfen.

US-Pastor Andrew Brunson sitzt in der Türkei in Haft - wegen Terrorvorwürfen.

Foto: dpa/Emre Tazegul

Das Bündnis zwischen der Türkei und den USA, das seit 70 Jahren währt, erlebt die schwerste Krise seiner Geschichte: Nachdem die US-Regierung Sanktionen gegen zwei türkische Minister wegen der Festnahme eines amerikanischen Geistlichen verhängt hat, bereitet die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan Gegenmaßnahmen vor. Dazu könnte der Rauswurf amerikanischer Soldaten aus der Türkei gehören. Das Außenministerium in Ankara sprach von einer „feindseligen Haltung“ der Vereinigten Staaten, die nicht unbeantwortet bleiben werde. Dabei trifft die Krise vor allem die Türkei. Es drohen eine schwere Wirtschaftskrise und eine Eskalation des Anti-Amerikanismus. Der Streit dürfte auch den Kurs der Türkei – weg vom Westen, hin zu Russland – beschleunigen.

Am Mittwochabend hatte die Regierung von US-Präsident Donald Trump dem türkischen Justizminister Abdulhamit Gül und Innenminister Süleyman Soylu schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen und die Politiker auf die Sanktionsliste gesetzt. Ihre Behörden seien verantwortlich für die Inhaftierung des US-Pastors Andrew Brunson im westtürkischen Izmir, hieß es. Die Sanktionen sind zwar weitgehend symbolisch, weil die beiden Minister keine Konten in den USA haben, die gesperrt werden könnten. Doch das politische Signal der Maßnahmen stellt eine noch nie dagewesene Eskalation im Verhältnis zu einem Nato-Verbündeten der USA dar: Sanktionen gehören normalerweise zu den Instrumenten der USA im Umgang mit Ländern wie Russland, Iran oder Nordkorea. Laut Presseberichten könnten weitere US-Sanktionen gegen regierungsnahe türkische Geschäftsleute folgen, um den Druck auf Ankara zu erhöhen.

Türkische Medien meldeten gestern, es gebe noch Gespräche zwischen beiden Seiten mit der Hoffnung auf eine baldige Einigung. Doch offiziell verlautete zunächst nichts. Auch Erdogan schwieg – wobei auch er in den vergangenen Tagen am gegenseitigen Zuspitzen der Affäre mitgewirkt hatte. „Mit Sanktionen werdet ihr die Türkei nicht zu Zugeständnissen bewegen können“, hatte er jüngst nach Drohungen aus den USA zurückgegeben.

Der Priester, um den es geht, ist Missionar und Pastor einer kleinen evangelikanischen Kirchengemeinde in Izmir. Brunson war vor fast zwei Jahren wegen angeblicher Zusammenarbeit mit der Bewegung des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen und mit der kurdischen Terrororganisation PKK festgenommen worden. Zudem wird ihm Spionage vorgeworfen. Trump hatte sich mehrmals persönlich für die Freilassung des Geistlichen eingesetzt; laut Presseberichten waren Verhandlungen zwischen USA und Türkei bereits weit gediehen, platzten dann aber, weil die Türkei neue Forderungen stellte und ein türkisches Gericht die Freilassung des 50-Jährigen ablehnte und Hausarrest für ihn anordnete. Die religiösen Aspekte des Falles vergiften das Klima zusätzlich. Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay warf den USA gestern vor, im Interesse „kleiner Interessengruppen“ zu handeln, eine Anspielung auf christlich-fundamentalistische Organisationen in Amerika. Eine regierungsnahe Zeitung meldete, hinter den Sanktionen stecke die Ehefrau des evangelikalen US-Vizepräsident Mike Pence: Sie habe auf Vorschlag von Brunsons Ehefrau Druck auf die Regierung ausgeübt. Erdogan selbst hatte zuletzt von einer „evangelikalen und zionistischen Mentalität“ in der US-Regierung gesprochen.

Ein Vertreter der türkischen Christen kritisierte das Vorgehen der USA. Zwar sei Brunson Unrecht angetan worden, betonte Ihsan Özbek, früherer Vorsitzender der Evangelikanischen Allianz der Türkei. Die Sanktionen gegen die Minister seien jedoch sowohl für Brunson selbst als auch für die evangelikalen Christen in der Türkei schädlich.

Brunsons Festnahme ist nur eines von vielen Problemen zwischen der Türkei und den USA. Der Senat in Washington fordert den Stopp der Lieferung von US-Kampfjets an Ankara, weil die türkische Regierung ein russisches Raketenabwehrsystem kaufen will. Die Türkei kritisiert ihrerseits die amerikanische Unterstützung für eine kurdische Miliz in Nordsyrien sowie die Weigerung der USA, den von Ankara als Organisator des Putschversuches von 2016 bezeichneten Gülen auszuliefern. Für viele Türken steht fest, dass die USA in den Putsch verwickelt waren; mehrere US-Konsulatsangestellte sind wegen angeblicher Kontakte zur Gülen-Bewegung in Haft.

Trumps Sanktionen versetzten der ohnehin krisengefährdeten türkischen Wirtschaft einen neuen Schlag. Die Türkische Lira sackte gestern auf neue Rekord-Tiefstände ab, die Kurse an der Istanbuler Börse gaben um mehr als zwei Prozent nach. Die Türkei ist zur Finanzierung ihres großen Außenhandelsdefizits auf das Geld ausländischer Investoren angewiesen, die nun durch die Sanktionen abgeschreckt werden könnten.

Die Krise stärkt zudem den ohnehin verbreiteten Anti-Amerikanismus im Land. Regierung und Opposition verabschiedeten im Parlament eine Entschließung mit scharfer Kritik an den USA. „Die strategische Partnerschaft zwischen Türkei und USA ist beendet“, schrieb Ibrahim Karagül, Chefredakteur der Erdogan-treuen Zeitung „Yeni Safak“. Ab sofort seien die USA als „größte Bedrohung“ einzustufen. Nicht nur er fordert die Schließung des wichtigen Luftwaffenstützpunktes Incirlik für US-Militärs. Von dort fliegen die USA Angriffe auf IS-Stellungen in Syrien. Es ist ein Konflikt, der weiter Kreise ziehen könnte.

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