Türkei Türkei erhöht Druck für Auslieferungen

Istanbul · Präsident Erdogan ermächtigt sich mit einer Reform, persönlich über Gefangenenaustausch mit dem Westen zu entscheiden.

 Westliche Politiker vermuten, dass Präsident Erdogan das neue Gesetz nutzen wird, um deutsche Gefangene als Geisel für die Auslieferung von Regierungskritikern zu nutzen.

Westliche Politiker vermuten, dass Präsident Erdogan das neue Gesetz nutzen wird, um deutsche Gefangene als Geisel für die Auslieferung von Regierungskritikern zu nutzen.

Foto: dpa/Uncredited

Werden Gefangene, die in der Türkei festgehalten werden, an den Westen ausgeliefert – oder nicht? Über diese Frage wird künftig vor allem der türkische Staatspräsident entscheiden. Recep Tayyip Erdogan hat sich offziell dazu ermächtigt,, über die Abschiebung inhaftierter Ausländer oder deren Austausch gegen türkische Beschuldigte zu entscheiden. Die Neuregelung ist Teil einer Reform, mit der Erdogan seine Kontrolle über den türkischen Geheimdienst MIT ausgeweitet hat. Westliche Politiker wie Bundesaußenminister Sigmar Gabriel werfen Erdogan vor, er versuche, inhaftierte Menschenrechtler, Journalisten und Geistliche als „Geiseln“ zu benutzen.

Das Geheimdienstgesetz wurde ohne Parlamentsbeschluss geändert. Die Abschiebungsregelung war im Jahr 2015 auf Antrag der Opposition vom türkischen Verfassungsgericht verworfen worden – Erdo­gan führt sie jetzt per Erlass unter dem Ausnahmezustand trotzdem ein. Daran kann im Ausnahmezustand auch das Verfassungsgericht nichts ändern.

Laut dem Dekret können ausländische Häftlinge abgeschoben werden, wenn es die nationale Sicherheit der Türkei oder die Interessen des Landes erfordern. Beteiligt an einer Entscheidung sind neben dem Staatspräsidenten noch das Außen- sowie das Justizministerium. Die Neuregelung sieht vor, dass ausländische Häftlinge in der Türkei „in ein anderes Land ausgeliefert oder gegen Untersuchungshäftlinge oder rechtskräftig Verurteilte, die sich in einem anderen Land befinden, ausgetauscht werden können“.

Mit der Neuregelung kann Erdo­gan beispielsweise den Austausch inhaftierter Extremisten des Islamischen Staates (IS) gegen türkische Geiseln anordnen. Gleichzeitig könnten aber auch Vorschläge der Türkei für einen politisch brisanten Austausch westlicher Häftlinge gegen türkische Regierungsgegner im Ausland näherrücken.

Mehrere deutsche Journalisten und Menschenrechtler sitzen teilweise seit Monaten in türkischen Gefängnissen. Die Bundesregierung hält ihre Verhaftungen für politisch motiviert. Oft wurden den Betroffenen staatsfeindliche Aktivitäten vorgeworfen. Aykan Erdemir, ein ehemaliger türkischer Parlamentsabgeordneter, der für die US-Denkfabrik Foundation for Defense of Democracies arbeitet, kommentierte Erdogans Ermächtigung mit den Worten, die Türkei gleiche immer mehr Ländern wie dem Iran oder Nordkorea.

Erdogan beklagt immer wieder, dass Deutschland eine Auslieferung mutmaßlicher kurdischer Extremisten sowie von Anhängern der Bewegung des islamischen Predigers Fe­thullah Gülen an die Türkei ablehnt. Zuletzt verlangte Ankara von Berlin die Überstellung von Adil Öksüz, eines ranghohen Mitgliedes der Gülen-Bewegung und mutmaßlichen Organisators des Putschversuches vom Juli vergangenen Jahres.

Bereits im Mai hatte Erdogan einen Zusammenhang zwischen den Inhaftierten in der Türkei und Regierungsgegnern im Ausland hergestellt. In einer Rede warnte der türkische Staatschef damals Länder, die Gülen-Anhängern Schutz gewähren: „Wenn sie bei der Auslieferung nicht behilflich sind, dann sollten sie wissen, dass sie jene ihrer Bürger, die uns in die Hände fallen, von uns auch nicht bekommen können.“

Medienberichen zufolge hat es hinter den Kulissen bereits Versuche gegeben, über einen Austausch zu sprechen. „Bild“-Zeitung und „Wall Street Journal“ meldeten, Erdogan habe die Rückkehr des in Istanbul inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel in die Bundesrepublik angeboten, wenn im Gegenzug zwei türkische Generäle, die nach dem Putschversuch vom Juli 2016 in Deutschland Zuflucht gesucht hatten, in die Türkei überstellt würden. Die Bundesregierung habe abgelehnt. Die regierungsnahe türkische Zeitung „Takvim“ meldete, die Initiative für einen Austausch sei von deutscher Seite ausgegangen.

Auch mit der US-Regierung soll Erdogan über einen Austausch gesprochen haben. Dabei geht es um Gülen selbst, der seit 1999 in Pennsylvania lebt. Im Fall des Predigers ist die Türkei – ähnlich wie bei Gülen-Anhängern in Deutschland – mit Forderungen nach Auslieferung bisher auf Ablehnung gestoßen.

Die türkische Oppositionspartei CHP erklärte, ein Kandidat für einen Austausch sei Reza Zarrab, ein iranisch-stämmiger türkischer Geschäftsmann, der in New York wegen des Vorwurfes des Verstoßes gegen Iran-Sanktionen in Untersuchungshaft sitzt und der ab Oktober vor Gericht stehen soll. Erdogan-Kritiker vermuten, dass Zarrab als Schlüsselfigur in einem Korruptionsskandal um die türkische Regierung viele peinliche Informationen enthüllen könnte.

US-Medien mutmaßen, dass die türkische Regierung einen seit Oktober im westtürkischen Izmir einsitzenden US-Geistlichen als Faust­pfand benutzen will. Zunächst wurde dem christlichen Pastor Andrew Brunson eine Mitgliedschaft in der islamischen Gülen-Bewegung vorgehalten. In den vergangenen Tagen wurde der Haftbefehl gegen Brunson um die Vorwürfe der Spionage und des Umsturzversuchs erweitert. US-Präsident Donald Trump hatte sich persönlich bei Erdogan für Brunson eingesetzt, war aber gescheitert.

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