Zu viele Haremsdamen für den Sultan

Istanbul. Im Nachbarland Syrien tobt der Krieg, die ganze Weltregion ist in Aufruhr, doch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan findet trotzdem Zeit, sich über eine Fernsehserie über einen Sultan aus dem 16. Jahrhundert aufzuregen

Istanbul. Im Nachbarland Syrien tobt der Krieg, die ganze Weltregion ist in Aufruhr, doch der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan findet trotzdem Zeit, sich über eine Fernsehserie über einen Sultan aus dem 16. Jahrhundert aufzuregen. Das Historien-Drama "Prächtiges Jahrhundert" über den osmanischen Sultan Süleyman den Prächtigen ist ein Quotenrenner im türkischen Fernsehen. Nur Erdogan mag die Sendung überhaupt nicht: Er findet, es gehe in der Serie zu viel um das Liebesleben des Sultans und nicht genug um heldenhafte Taten und Eroberungen des mächtigen Herrschers. Nun will Erdogan die Sendung verbieten lassen. Schon in wenigen Monaten könnte Schluss sein.Das "Prächtige Jahrhundert" erregt schon seit dem Serienstart vor knapp zwei Jahren die Gemüter. Süleyman der Prächtige war der größte aller osmanischen Sultane, in der Türkei wird er bis heute als "Kanuni" verehrt, als weise herrschender Gesetzgeber. Doch im Privatsender Star TV verbringt "Kanuni" viel Zeit mit Hofintrigen im Harem. Seine rothaarige Lieblingsfrau Roxelana, gespielt von der deutsch-türkischen Schauspielerin Meriem Sarah Urseli aus Kassel, hat den Fernseh-Sultan im Griff.

Diese Darstellung sei eine Beleidigung für einen Herrscher, der 30 Jahre bei Eroberungsfeldzügen zum Ruhme der Osmanen und damit der Türken im Sattel gesessen habe, schimpfte Erdogan Ende November. Und er fügte hinzu: "Die Antwort muss im Rahmen der Justiz erfolgen."

Mit dieser Andeutung des Regierungschef, der in der heutigen Türkei fast so mächtig ist wie Süleyman im 16. Jahrhundert, war die Serie zum Abschuss freigegeben, kommentierten die Zeitungen. Nur wäre ein Verbot der Serie selbst für Erdogan wegen der bestehenden Gesetze zum Schutz der Meinungsfreiheit nicht ganz einfach durchzusetzen.

Deshalb will die Erdogan-Partei AKP jetzt nachhelfen. Sie arbeitet allen Ernstes an einem Gesetz, dass "beleidigende" Darstellungen von Ereignissen und Personen verbietet, die zu den "nationalen Werten" des Landes gehören. Damit könnte so gut wie alles verboten werden, sagen Experten. Und das erste Verbot soll den Fernseh-Sultan treffen. Schon in den ersten Monaten des neuen Jahres sei die Serie fällig, sagte der AKP-Abgeordnete Oktay Saral, der den Gesetzentwurf ausgearbeitet hat. Die Frage ist nun, ob Erdogan den Gesetzentwurf wirklich ins Parlament bringen lässt. Seine Kritik am TV-Süleyman könnte auch Teil der häufig vom Ministerpräsidenten angewandten Taktik sein, mit markigen Parolen die konservativen Wähler bei Laune zu halten, am Ende aber nichts Konkretes zu tun. Erst vor wenigen Monaten hatte er die Öffentlichkeit mit der Forderung geschockt, die Abtreibung zu verbieten. Davon ist längst nichts mehr zu hören.

Auch ohne neues Gesetz lenkt Erdogans Fernsehkritik den Blick jedoch auf die bereits bestehenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit in der Türkei. William Shakespeare hätte in einem Land wie der Türkei die meisten seiner Dramen nicht schreiben dürfen, spottete der Kommentator Murat Belge in der unabhängigen Zeitung "Taraf". Leute wie Belge müssen vorsichtig sein. "Taraf"-Chefredakeur Ahmet Altan wurde vor wenigen Tagen wegen eines unbotmäßigen Kommentars zu rund 6400 Euro Schmerzensgeld für Erdogan verurteilt. Bis Shakespeare muss man ohnehin nicht gehen. Die Fernsehaufsichtsbehörde verhängte kürzlich eine Geldstrafe von fast 23 000 Euro gegen den Sender, der in der Türkei die US-Zeichentrickserie "The Simpsons" ausstrahlt. Begründung: In einer Folge sei Gotteslästerung betrieben worden, indem Gott gezeigt wurde, wie er dem Teufel einen Kaffee servierte. Foto: afp

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