Vorwärts in die "neue Zeit"Heiko Maas fordert ein Ende der "Selbstbeschäftigung" in der SPD

Berlin. Da stehen sie nun Seit an Seit und besingen "die neue Zeit": Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier. Der eine ist wieder Chef der SPD, der andere ihr Kanzlerkandidat. Und ringsherum gibt ein Bergmanns-Chor sein Bestes. Die Abschluss-Szene dieses Parteitages soll sich einprägen bei der sozialdemokratischen Basis. Die Zuversicht ist zurückgekehrt

 Frank-Walter Steinmeier (links) wird mit großer Mehrheit zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürt. Weniger einhellig fiel die Zustimmung für Franz Müntefering (rechts), den neuen Parteivorsitzenden, aus. Hinter ihm applaudiert Saar-SPD-Chef Heiko Maas. Foto: dpa

Frank-Walter Steinmeier (links) wird mit großer Mehrheit zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürt. Weniger einhellig fiel die Zustimmung für Franz Müntefering (rechts), den neuen Parteivorsitzenden, aus. Hinter ihm applaudiert Saar-SPD-Chef Heiko Maas. Foto: dpa

Berlin. Da stehen sie nun Seit an Seit und besingen "die neue Zeit": Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier. Der eine ist wieder Chef der SPD, der andere ihr Kanzlerkandidat. Und ringsherum gibt ein Bergmanns-Chor sein Bestes. Die Abschluss-Szene dieses Parteitages soll sich einprägen bei der sozialdemokratischen Basis. Die Zuversicht ist zurückgekehrt. Müntefering und Steinmeier haben der krisengeschüttelten Partei neues Leben eingehaucht.

Allein in den letzen drei Jahren bekam es die SPD mit ebenso vielen Vorsitzenden zu tun. Franz Müntefering steht nun zum zweiten Mal an ihrer Spitze. Der knorrige Sauerländer hatte schon vor geraumer Zeit vor den "Heuschrecken" in der Wirtschaft gewarnt. Angesichts des internationalen Finanzdebakels könnten sich die Sozialdemokratien also keinen besseren Vorturner wünschen. Dass Müntefering mit 85 Prozent trotzdem ein vergleichsweise bescheidenes Wahlergebnis einfuhr, hat mit seiner treibenden Rolle bei der überraschenden, aber eben auch befreienden Demontage seines Vorgängers Kurt Beck zu tun und mit der Agenda-Politik, die Müntefering zum Ärger vieler Parteigänger konsequent befürwortet. Für Unbehagen sorgte obendrein sein autoritärer Führungsstil als früherer Chef.

So glich die Rede des 68-Jährigen dann auch einem politischen Balanceakt: Beck und er hätten oft "quer zueinander gestanden". Aber der Pfälzer bleibe ein "bedeutender Sozialdemokrat". Das Reizwort "Agenda" nahm Müntefering nicht in den Mund. Aber er mahnte die Partei zu mehr Stolz auf die Regierungszeit unter Gerhard Schröder. "Ich habe ein gutes Gewissen wegen dem, was wir damals getan haben." Sein Basta-Image tauchte Müntefering in ein mildes Licht: Besser "ein ehrlicher Streit um den richtigen Weg", als politische "Beliebigkeit", die er bei der CDU verortete. Aber die Delegierten bekamen auch eine Warnung zu hören: Die SPD müsse eine Partei sein. Er wolle nicht einer "Holding" aus politischen Flügeln vorstehen.

Dann brach Müntefering seinen Auftritt scheinbar wohl kalkuliert ab und verkündete das Wahlergebnis Steinmeiers für die Kanzlerkandidatur. Es fiel um zehn Prozent besser aus als sein eigenes. Auf diese Weise lenkte Müntefering den Beifall ganz auf Steinmeier. Spätestens an dieser Stelle musste auch dem letzten im Saal die Rollenverteilung im neuen Führungsduo klar geworden sein: Steinmeier empfiehlt sich dem Wahlvolk als solider und seriöser Staatspolitiker und Müntefering sorgt dafür, dass die Partei mitmarschiert. Beide variierten dann auch eine Tonart, die bei der SPD schon lange nicht mehr zu hören war. Die Sozialdemokraten dürften sich nicht nur als "Betriebsrat der Nation" empfinden. Auch Unternehmer seien eingeladen, in der SPD mitzumachen, sagte Steinmeier. "Die Wirtschaft ist für uns Pflicht, nicht Kür." Bei Müntefering klang das so: "Wir dürfen uns nicht reduzieren auf das Soziale, sondern wir müssen auch die sein, die das Ökonomische gestalten". Gerhard Schröder lässt grüßen. Ein kleiner Seitenhieb auf seinen politischen Ziehvater zeugte aber von der politischen Emanzipation Steinmeiers: Vor Jahren hatte Schröder alle Lehrer als "faule Säcke" beschimpft. "Ich weiß, dass der Betreffende das schon lange nicht mehr so sieht", sagte Steinmeier lächelnd. Am Ende des Parteitages hätte das schöne Bild der Eintracht und Geschlossenheit fast noch einen Riss bekommen. Viele Delegierte wollten unbedingt über einen Antrag zum endgültigen Stopp der Bahnprivatisierung entscheiden. Mit knapper Mehrheit wurde die Forderung schließlich abgelehnt. Bei Münteferings Nominierung als SPD-Chef haben sie sich im Vorstand der Stimme enthalten. Haben Sie ihn nun gewählt?

Maas: Ja. Ich habe immer gesagt, dass es auf die Inhalte ankommt. In persönlichen Gesprächen mit mir und in den Reden dieses Parteitages haben Müntefering und Steinmeier klargemacht, dass die soziale Profilierung des Hamburger SPD-Parteitags nicht zurückdreht, sondern weiter vorangetrieben wird.

Viele waren offenbar anderer Meinung. Schließlich bekam Müntefering nur 85 Prozent.

Maas: Das ist ein ehrliches Ergebnis. Dass es keine 100 Prozent geben würde, war nach den Abläufen der letzten Wochen klar. Es gibt sicher noch einige, die nach Erfahrungen der Vergangenheit Vorbehalte hatten. Jetzt muss gelten: Keine Selbstbeschäftigung, die Probleme der Menschen mehr in den Mittelpunkt stellen.

Hat Steinmeier genug SPD-Stallgeruch? Das Steigerlied musste er noch vom Blatt absingen . . .

Maas: Ich stand schräg hinter ihm und kann sagen: Er hat die erste Strophe auswendig und mit fester Stimme gesungen. Wenn es mehr nicht ist, übe ich die restlichen Strophen gerne noch mit ihm ein. Aber wichtiger ist, dass er mit festem Willen und Überzeugungen in die Wahl-Auseinandersetzung geht. Dass er das tut, wurde in seiner beeindruckenden Rede deutlich. Steinmeier kann Bundeskanzler. Und die SPD wird mit großer Geschlossenheit alles dafür tun, dass er es wird. Die CDU kann sich warm anziehen - im Bund und im Land sowieso.

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