Vom Töten auf Verlangen

Amsterdam. Ann Stolting wählte ihren Todestag selbst. An dem warmen Julitag lag die 54-Jährige im Bett in ihrer Amsterdamer Wohnung, gezeichnet vom Krebs. "Die Ärztin sagte, ich werde dir jetzt eine Spritze geben. Willst du noch etwas tun?", erinnert sich ihr Mann Martijn. Ann wollte in ihre E-Mails schauen und noch einmal auf die Terrasse

Amsterdam. Ann Stolting wählte ihren Todestag selbst. An dem warmen Julitag lag die 54-Jährige im Bett in ihrer Amsterdamer Wohnung, gezeichnet vom Krebs. "Die Ärztin sagte, ich werde dir jetzt eine Spritze geben. Willst du noch etwas tun?", erinnert sich ihr Mann Martijn. Ann wollte in ihre E-Mails schauen und noch einmal auf die Terrasse. Dann legte sie sich wieder hin, die Ärztin gab ihr die erste Spritze, Ann schlief ein. Wenig später injizierte die Ärztin das Gift, das zum Herzstillstand führte.Der Tod auf Verlangen ist in den Niederlanden seit zehn Jahren möglich. Mit dem "Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung" vom 1. April 2002 schrieb das Land Geschichte. Hatten die Niederlande doch als erstes Land der Welt ein Gesetz erlassen, das die aktive Sterbehilfe ("Tötung auf Verlangen") erlaubt. Das Gesetz sollte beides verbinden: Die Patientenrechte stärken und den Schutz des Lebens garantieren. Es war keine leichte Entscheidung. Über 30 Jahre hatten Politik und Gesellschaft um diese Frage gerungen. Christliche Parteien und Kirchen leisteten erbitterten Widerstand. Das Gesetz löste weltweit Empörung aus. Alte Menschen seien ihres Lebens nicht mehr sicher, fürchtete man in den USA. Der Vatikan nannte die Niederlande ein "Paradies des Todes". In Deutschland warnte man vor Nazi-Praktiken. Lediglich Belgien folgte dem Beispiel und erlaubte wenig später die aktive Sterbehilfe.

"Holland hat es gut geregelt", urteilt Theo Boer, Ethik-Professor an der Universität Utrecht und selbst Sterbehilfeskeptiker. Die Regeln sind streng: Ein Patient muss aussichtslos krank sein, unerträglich leiden und ausdrücklich seinen Arzt um Hilfe bitten. Ein zweiter Mediziner muss das Gesuch prüfen. Zudem muss schließlich jeder Fall bei einer speziellen Kommission aus Juristen, Ethikern und Medizinern gemeldet werden. Entscheidend sei die "freie und ausdrückliche Wahl des Patienten," betont Professor Boer. Im Prinzip bleibt Sterbehilfe für demente, psychisch kranke oder geistig behinderte Patienten verboten.

Doch die Grenzen wurden in den vergangenen Jahren verschoben. So können Ärzte das Leben schwerstbehinderter Babys beenden und auch Depression und Demenz gelten inzwischen als unerträgliches Leiden. Doch bei den meisten der rund 2500 Sterbehilfe-Fälle jährlich geht es um Krebs im Endstadium.

Ein qualvoller Tod muss nicht sein, darin sind sich alle einig. Aber es werde zu wenig in die Palliative Medizin, die Schmerztherapie für Sterbende, investiert, kritisiert der Direktor des christlichen Lindeboom-Instituts für medizinische Ethik, Stef Groenewoud. "Wenn Patienten die Wahl hätten, würden sie nicht die Todesspritze wählen."

Das sieht die Vereinigung für ein Freiwilliges Lebensende anders. Sie eröffnete in Den Haag die erste Lebensende-Klinik. Sechs Teams aus jeweils einem Arzt und einer Pflegekraft erfüllen Patienten zu Hause oder in der Klinik den Todeswunsch, strikt nach den gesetzlichen Vorschriften. Das Interesse ist groß, denn bei jedem vierten Fall verweigern die befragten Ärzte Sterbehilfe aus Glaubens- oder Gewissensgründen.

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